Aktivistin sein, für eine Sache einzutreten und zu kämpfen, ist auch heute nicht immer einfach, war aber geradezu eine lebensgefährliche Sache im viktorianischen Zeitalter. Was unsere beiden Hauptfiguren Jay und Kita am Ende des letzten Bandes schmerzlich erfahren mussten. Bei einem von Soldaten ausgeübten Massaker auf dem Trafalgar Square (das zudem von Königin Victoria abgesegnet war) wurde die rasch wachsende Bewegung der „Angry Mothers“ mit weit über 200 Opfern blutig beendet (man setzte sich bekanntlich gegen Ausbeutung und Kinderarbeit ein). Kita überlebte nur schwer verletzt und Jennifer „Jay“ Winterfield wurde gefasst, nachdem beide ja bekanntlich über Jahre steckbrieflich gesucht wurden.
Nun, im Sommer 1858, stöhnt London unter einer nie dagewesenen Hitzewelle, was die die ganze Stadt in einen widerlichen Gestank taucht. Bald ist von „The big stink“ die Rede – die Reichen verziehen sich auf das Land, während die Armen den Mief stoisch und geduldig ertragen. Wir treffen Jay in einem Frauengefängnis wieder. Ihr droht die Deportation nach Australien, zumindest kurzfristig. Und Kita erholt sich in einem Versteck von ihrer Schussverletzung, gepflegt vom Sensei. Trotz der dramatischen Ereignisse beschließen die beiden wehrhaften Damen weiter zu kämpfen. Und den Kampf auf einer persönlichen Ebene fortzusetzen. Persönlich, was Königin Victoria betrifft, die folglich bald mit einen schmerzlichen Verlust konfrontiert wird…
Zweiter Zyklus, Abschlussband. Unsere Akteure sind schwer gezeichnet: Jay sieht ihre Tochter Apolline, die sie nicht kennt, in größter Gefahr. Kita ist noch geschwächt und auch der Sensei ist gesundheitlich angeschlagen. Dennoch will man den Kampf für soziale Gerechtigkeit nicht aufgeben. Hilfe erhoffen sich die drei vom Finden des vierten Dämons (siehe Rückentätowierungen) namens SHI (der Dämon des Todes und des Friedens), der laut Sensei nicht weit weg sein kann. Die Dämonensache stellt dann auch wieder die einzige, aber auch entscheidende Fantasy Komponente in der Story dar. Der Gegenspieler ist seit dem letzten Band der skrupellose Commissioner Fiddle, der auch familiär mit den Winterfields verbunden ist.
Begleitend dazu verfolgen wir wieder eine Parallelhandlung, die in den fünfziger Jahren angesiedelt ist: Rund um Duluth in Minnesota verschwinden Kleinkinder. Das Seltsame: Der oder die Entführer stellen keine Forderungen. Die Polizei tappt im Dunklen. Nur die Polizei-Sekretärin Kristofferson entdeckt eine Spur und avanciert von der Tippse zur wertvollen Ermittlerin – einmal mehr eine starke Frau in der Geschichte. Das Finale gerät dann turbulent. Ereignisse überschlagen sich, dramatische, tragische wie erfreuliche. Aber Autor Zidrou behält stets die Übersicht und lässt die ohnehin bereits dicht erzählte Story zu einem gelungenen Ende kommen, bei dem sogar Königin Victoria Einsicht zeigt. Wozu Zeichner José Homs mit seinen eleganten, leicht stilisierten Bildern und der dezent stimmigen Farbgebung wie immer das Seine beiträgt. (bw)
SHI, Band 6: Der Große Gestank
Text & Story: Zidrou, José Homs
Bilder: José Homs
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
16 Euro
ISBN: 978-3-98721-001-3
