
Heldentaten der Vergangenheit holen einen manchmal ein. Das erlebt auch das Tech-Genie Gabriel Winter, der während eines Meetings seiner Silicon Valley-Firma auf dem Handy urplötzlich Nachrichten vom Message-Forum worldtr33 (Worldtree) erhält, das doch eigentlich seit Jahren offline sein sollte. Gabriel zeigt sich massiv alarmiert, lässt alles stehen und liegen und trommelt seine alten Freunde zusammen: Amanda, Darren, Yoshi und Liam wissen sofort, dass nichts Gutes in der Luft liegt, als Gabriel ihnen eröffnet „Es passiert wieder“ und dann prompt trocken mitteilt, dass es dieses Mal 67 Tote gegeben habe. Ein mysteriöses Wesen namens PH34R muss wohl das unselige Undernet wieder aktiviert haben, eine unheilvolle digitale Dimension unter dem Internet, die die Truppe vor Jahren doch eigentlich versiegelt zu haben glaubte.
Wer immer das Undernet auch nur kurz betrachtet, wird zum willenlosen Mörder, der seine Taten auf den sozialen Medien verbreitet – wie auch Gibson Lane, der eine kurze Szene aus dem Undernet gesehen und daraufhin mehr als 60 Menschen kaltblütig getötet hat. Sein Bruder Ellison, dem Gibson noch von seinem Fund berichtete, will der Sache auf den Grund gehen und besucht Gibson im Gefängnis, wo er Zeuge wird, wie PH34R in Gestalt einer unbekleideten schmucken Dame eindringt und alle Anwesenden außer Ellison tötet. Die beiden zur Aufklärung entsandten FBI-Agenten Siobhan Silk und Nicky Gallo können nur noch mit ansehen, wie Ellison von einer Anwältin in Schutz genommen und dann abtransportiert wird.
Gabriel will diesen Zeugen lieber selbst interviewen, schafft ihn in das von ihm als Stützpunkt angemietete Hotel und sorgt dafür, dass alle Beweise der Tat vernichtet werden. Einstweilen betritt Ellisons neugierige Freundin Fausta das verlassene Wohnhaus der Lanes und findet dort tatsächlich den PC, an dem Gibson mit dem Undernet in Berührung kam, wobei auch PH34R nicht weit ist und dafür sorgt, dass auch Fausta von der grauenhaften Unterdimension attackiert wird. Amanda und Darren, die das Haus anzünden sollen, können sie gerade noch rechtzeitig vom Bildschirm zerren und in Gabriels Hauptquartier schaffen, wo man versucht, sie dem Undernet wieder zu entreißen…
„Ein anderes Internet aus einer anderen Welt“ – mit dieser Prämisse haut uns Horror-Vielschreiber James Tynion IV. (uns ja ins bester grauenhafter Bekanntheit mit „Something Is Killing the Children“ und „The Department of Truth“) ein neues High Concept-Werk um die Ohren, bei dem sich Stephen King und Disney die Klinke in die Hand geben. Anders ausgedrückt: die Losers aus Kings monumentalem It (die ihrerseits als Kinder ein namenloses Grauen besiegten, das Jahrzehnte später wiederkehrt und sie so wieder zusammenbringt) treffen hier auf Tron, wo sich digitale und reale Welt ebenso mischen.
Der leichtsinnige Entdecker William forschte in Jugendjahren sorglos in den Untiefen des Netzes, ermunterte seine Freude dazu, „Internauten“ zu sein und entfesselte dabei die Kräfte des Undernet, weil er naiv an die konstruktiven Mächte des Fortschritts glaubte. Dabei kamen nicht nur jede Menge Leute ums Leben, auch Gabriels Schwester wurde in Mitleidenschaft gezogen und – spoiler ahead – sucht die erwachsen gewordenen Forscher in digitaler Form heim. Dazu mischt Tynion wie schon im genial-dekonstruktivistischen „Department of Truth“ jede Menge Verschwörungsmaterial: das Darknet lebt, und das FBI (das eine kaum kaschierte Version von Mulder und Scully als Ermittler schickt) verfolgt Gabriels Bemühungen, den Deckel wieder auf das Grauen zu setzen, das er selbst einst heraufbeschworen hat.
Die Bildwelt von Fernando Blanco brilliert dabei vor allem in den Szenen, in denen das Undernet Besitz von der Realität ergreift, in verzerrten, teilweise psychedelisch anmutenden Momenten, die in der Rettung von Fausta kulminieren. Dazu streut Tynion jede Menge Hommagen und Referenzen ein (als man Fausta zwingt, einen Bildschirm zu betrachten und ihr dabei die Augenlider hochklebt, kommentiert Liam trocken, man habe wohl einfach zu viel Clockwork Orange angeschaut, in Referenz auf die Konditionierung des Droogs Alex), die für kurze Lichte Momente einer pechschwarzen Vision sorgen. Und die Erscheinung der digitalen Dame ist auch nicht zu verachten. Der vorliegende Band bringt Episode 1, „Terminal“, die in den USA bei Image im Jahr 2023 erschien. (hb)
w0rldtr33, Band 1: Terminal
Text & Story: James Tynion IV.
Bilder: Fernando Blanco
168 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro
ISBN: 978-3-98721-368-7