Emmy wird bald 18, was kein großes Ding für sie ist. Sie lebt auf der Farm ihres Vaters, umringt von tiefen Wäldern. Was sie nicht weiß, wohl aber ihr Vater und andere Bürger von Harrow County: Emmy ist die Reinkarnation der Hexe Hester Beck, die einst auf grausamste Art und Weise ermordet wurde und die noch im Todeskampf ihre Rückkehr – samt Rache – ankündigte. Jetzt, da Emmy volljährig wird, könnten ihr Bewusstsein und ihre Kräfte erwachen, was sie zur Gefahr für alle macht, weshalb man beschließt sie „erneut“ zu töten. Doch Emmy hat inzwischen eigene übernatürliche Erfahrungen gemacht. Sie traf auf einen der Geister, die im Wald wohnen, die Haints. Einer von wahrhaft ungewöhnlicher Gestalt, der sie nun offenbar beschützt und vor Gefahren warnt. So erfährt Emmy rechtzeitig, was man ihr antun will. Hastig ergreift sie die Flucht vor ihren Häschern, zu denen auch ihr „Vater“ gehört…
So beginnt „Harrow County“, eine Horrorserie von Autor Cullen Bunn (u.a. etliche Deadpool Titel für Marvel; „Die sechste Waffe“ im All Verlag) und zum größten Teil gezeichnet von Tyler Crook (u.a. „Black Hammer: Colonel Weird“). Doch schon bald schlägt die Story eine andere, eine neue Richtung ein. Emmy wird nicht weiter gejagt. Sie wird sich langsam ihrer Rolle und ihres Wesens bewusst, entdeckt ihre Kräfte (und ihre Macht), entscheidet sich aber für das Gute und geht damit erfolgreich in die Offensive. Dann taucht unerwartet eine neue fremde und gleichzeitig vertraute Gegenspielerin auf, die sie und ganz Harrow County in das Verderben zu stürzen droht. Nach dem Ende dieser ersten Storyline geben Bunn und Crook einige Einzelepisoden zum Besten, auch mit Gastzeichnerinnen, in denen nicht Emmy, sondern ihre Freundin Bernice im Mittelpunkt steht.
Die Geschichte von Emmy, die etwa in den 1920er/1930er Jahren spielt, ist erfrischend geschrieben und gezeichnet und hebt sich wohltuend von konventionellen Horror-Storys ab. Es ist ein sehr urtümlicher, fast archaischer Grusel, der – zumindest bisher – ohne Zombies oder Vampire auskommt und sich ausschließlich mit dem unheimlichen Erbe der Hexe Hester Beck beschäftigt – echtes Hexenwerk also. Das sind einmal die Haints, Geister und anderes Gezücht, das in verschiedensten Ausprägungen verborgen im Wald lebt, und dann die „besorgten Bürger“ von Harrow County: von Hester erschaffene Golems, von „echten“ Menschen nicht zu unterscheiden, die sich einst gegen ihre Schöpfung wandten. Darunter auch ihr Vater. Der Horror lauert im Wald oder bricht sich unvermittelt Bahn – das Übernatürliche lauert in Harrow County überall.
Die Reihe erschien im Original bei Dark Horse zwischen 2015 und 2018 in ursprünglich 32 Heften, gefolgt von dem Spin-Off „Tales from Harrow County“. Der Schweizer Verlag Skinless Crow veröffentlicht nun die Hauptserie in zwei massiven wie prächtigen Hardcover-Omnibussen, wobei jeder Band in der Erstauflage auf 666 Exemplare limitiert ist und jeweils 400 Seiten und damit 16 Hefte beinhaltet. Die Serie wird auch durch die Gestaltung von Zeichner Tyler Crook geprägt. Sowohl kräftige, leuchtende Farben, die die üppige Natur in Harrow County bietet, als auch düstere Szenen bei Nacht oder Unwetter – Crook findet stets die richtige, stimmige Farbpalette. Und ähnlich wie bei Will Eisners Spirit ist vor jedem Kapitel der Titel Harrow County kunstvoll in das Bild eingebunden (siehe Beispiel rechts). Fazit: ein wunderbar erzähltes, unkonventionelles Grusel-Epos, das zu jeder Zeit lesens- und sehenswert ist. (bw)
Harrow County, Omnibus Eins
Text & Story: Cullen Bunn
Bilder: Tyler Crook, Carla Speed McNeil, Hannah Lavender
408 Seiten in Farbe, Hardcover
Skinless Crow
79,90 Euro
ISBN: 978-3-03963-008-0
