Psycho Investigator, Band 2 (Splitter)

April 24, 2023
Psycho Investigator, Band 2: Das Erbe des Hundertjährigen (Splitter Verlag)

Missliche Lage für Simon Radius: nachdem er seinem Kontrahenten Bonseigneur als Vergeltung für dessen Gaunereien kurzerhand das Gedächtnis gelöscht hat, droht ihm ein Prozess. Und obendrein fürchtet er, seine Fähigkeit verloren zu haben, im Geist seiner Mandanten umherwandern und so diverse dubiose Fälle lösen zu können. Da ist es schon reichlich brenzlig, dass ihn ein gewisser Henri du Perthuis aufsucht und ein Ultimatum stellt. Der gute Mann hatte sich nämlich mit seinem Vater in Behandlung bei Bonseigneur begeben, der seine Dienste dank Simon nun nicht mehr anbieten kann. Entweder, so die Drohung, sagt Perthuis im Prozess gegen Radius aus – oder Simon versucht, das Geheimnis zu ergründen, das Vater Eugene du Perthuis mit sich herumträgt. Einen sagenhaften Schatz habe er irgendwo auf dem Landsitz versteckt, und ein ominöser Herr Radius stehe damit in unmittelbarer Verbindung, soweit die Informationen von Henri.

Das Problem ist nur, dass der 100-jährige Herr Papa vor fünf Jahren eine Treppe hinunterstürzte und seitdem keinerlei Erinnerungen mehr an die ganze Sache hat. Halb gezwungen, halb freiwillig begibt sich Simon in Begleitung seiner Assistentin/Freundin Maud Keravec auf den Landsitz der Perthuis, um der Sache auf den Grund zu gehen. Vater Eugene stellt sich als weitgereister Weltenbummler heraus, der im Libanon, in Tibet auch schließlich in Indien lebte, bevor es ihn dann in ein eher biederes Dasein nach Frankreich verschlug. Bei einem ersten Spaziergang durch Eugenes Gedächtnis stellt Simon fest, dass ein traumatisches Erlebnis, das im Libanon vorgefallen sein muss, das Langzeitgedächtnis in der Tat blockiert. Um weitere Informationen zu sammeln, steigt Simon in der Folge auch in die mnemonischen Windungen von Henri, dessen blinder Frau Louise und gehörlosem Sohn Xavier ein und sammelt dort weitere Indizien: auf dem Dachboden findet man tatsächlich einen alten Tigerkopf, in dem sich ein goldener Drehknopf verbirgt, der wiederum einen kleinen Tresor öffnet, in dem Eugene eine indische Spielkarte aufbewahrte.

Der „Schatz“ scheint damit eher symbolischer Natur zu sein und auf ein früheres, glückliches Leben in Indien hinzudeuten, das Eugene als unschätzbaren Reichtum empfand. Aber so ganz rund scheint die Sache immer noch nicht, weshalb Simon ein letztes Mal den violetten Ozean befährt, in dem Eugenes Langzeitgedächtnis untergegangen ist – und entsetzt feststellen muss, dass er nicht der einzige Besucher im mnemonischen Raum ist. Eine furchterregende Gestalt tritt ihm in Form einer Schlange mit Menschenkopf entgegen, die sich der „Große Ottavio“ nennt und ganz offenbar vom Unglück des armen Eugene zehrt – was nur der Anfang von Enthüllungen ist, die Simons Leben ganz gewaltig durcheinanderwirbeln…

Auch in Band 2 ihrer fabelhaften Serie um den Psycho-Ermittler brennen Erwan Courbier und Benoit Dahan erneut ein Feuerwerk der Ideen, Tricks und Kniffe ab, das seinesgleichen sucht. Simon durchwandert wieder die Erinnerungswelten seiner Patienten und geht dieses Mal auf symbolische Schatzsuche, die ihn tief in geschichtliche Hintergründe (wie etwa das „französische Mandat“ im Libanon der 30er Jahre, das zu erheblichen Unruhen im Lande führte, als Frankreich zwar formell die Unabhängigkeit anerkannte, diese aber de facto nicht akzeptierte) führt, aber auch seine Grundkenntnisse der Neurologe beansprucht. So etwa erfahren wir, dass das Kurzzeitgedächtnis im Hippocampus verortet ist, während die Langzeiterinnerung im präfrontalen Cortex wohnt, der im Falle des guten Eugene wie mit einer Staumauer abgetrennt wurde. Dabei durchpflügt der findige Ermittler das violette Meer des Vergessens auch gerne mal mit der Nautilus des Kapitän Nemo (optisch eng angelehnt an die Disney-Verfilmung), die ebenso gut elektrische Ladungen gegen allerlei Kroppzeug abfeuert wie das Original aus Jules Vernes Roman.

Neben der spannenden und wendungsreichen Kriminalgeschichte über den „Schatz“ des 100jährigen, der nicht aus dem Fenster stieg, sondern die Treppe hinunterfiel, steht natürlich aber auch wieder die optische Umsetzung durch Benoit Dahan im Mittelpunkt, der schon bei „Im Kopf von Sherlock Holmes“ brillierte: jede Seite bordet über von Details, Pläne des Anwesens der Perthuis werden zu Risszeichnungen, die Figuren wandern gewissermaßen über die Seiten, auch visuelle Tricks wie durchsichtige Panels und Ecken zum Umklappen sind wieder am Start: der intellektuellen Schnitzeljagd nach dem verlorenen Schatz gesellt sich damit ein optischer Hochgenuss, der herausfordert, überrascht und in jeder Sekunde fasziniert. Ergänzt wird der wunderbare Band mit einem kleinen fiktiven Anhang zu einer Biographie von Eugene aus der Feder von Maud sowie einem Skizzenbuch. Absolut elementar, lieber Watson! (hb)

Psycho Investigator, Band 2: Das Erbe des Hundertjährigen
Text: Erwan Courbier, Benoit Dahan
Bilder: Benoit Dahan
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-96792-379-7

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