Pygmalion und die Jungfrau aus Elfenbein (Splitter)

März 14, 2023
Pygmalion und die Jungfrau aus Elfenbein (Splitter Verlag)

Immer Ärger mit dem Nachwuchs: der junge Pygmalion will partout Bildhauer werden und schert sich einen Teufel um die holde Weiblichkeit, die für ihn bestenfalls unzulänglich und mangelhaft ist. All das gereicht seinem Vater Antheus kaum zur Freude, der den Sohnemann lieber mit einem ordentlichen Beruf und einer schmucken Ehefrau – die mit der Nachbarstochter Agape auch gerne bereitstünde – aufgeräumt sehen würde. Als der Vater auf die Warnungen der Priester pfeift und am Feiertag aufs Meer hinausfährt, holt ihn Poseidon höchst selbst in Form einer Seeschlange in den Hades. Dort fehlt es Antheus am nötigen Kleingeld für den Fährmann Charon, aber Aphrodite, zu der Antheus stets brav betete, hilft der armen Seele aus und verspricht obendrein, sich getreulich um Pygmalion zu kümmern.

Der überlebt den Schiffbruch knapp und wird von Agape gesundgepflegt, deren Hoffnungen allerdings schmählich enttäuscht werden: umso störrischer will Pygmalion nun die ideale Skulptur der Aphrodite formen. Nach diversen Fehlschlägen erscheint ihm Eros, der Bote Aphrodites, im Traum und weist ihm den richtigen Weg: Pygmalion bearbeitet einen riesigen Block Elfenbein, den ihm sein versoffener und notorisch klammer Lehrer Kopias verpfändet, und schafft dadurch eine wahrlich perfekte Statue, die er Galatea nennt und fortan hütet wie eine reale Person. Das will Kopias so nicht hinnehmen und schmiedet den Plan, die ideale Statue zu stehlen und für sein eigenes Werk auszugeben. Der nächtliche Einbruch geht gehörig schief, Kopias stürzt und schlägt sich den Schädel ein, während Pygmalion wie ein Beserker auf ihn losgeht und sich dabei selbst schwer verletzt.

Agape, die den Tumult entdeckt, lässt die Leiche von Kopias verschwinden und pflegt Pygmalion erneut. Als dieser wieder nur Augen für seine Statue hat, verzweifelt Agape schließlich, geht in den Tempel der Zwietracht-Göttin Eris und will sich dort als Propoetide, eine Tempeldirne, verdingen. Diese Selbstaufgabe kann Aphrodite so nicht mit ansehen und schlägt Agape einen Handel vor: sie soll ein Opfer anderer Art bringen und dafür die Chance bekommen, ihrem geliebten Pygmalion auf ganz besondere Weise nahe zu sein. Während man tags darauf die Leiche Agapes im Tempel findet, haucht Aphrodite der Elfenbein-Figur Leben und Seele ein – worauf sich Pygmalion am Ziel seiner Träume wähnt. Aber das Glück ist nur von kurzer Dauer…

Der Mythos des perfektionistischen Bildhauers Pygmalion, der sich in seine eigene Schöpfung verliebt, die wirklich zum Leben erwacht, breitete als einer der ersten der gute alte Ovid in seinen Metamorphosen aus, jener Geschichtensammlung, in der sich auch Daedalus und Ikarus tummeln – und die unseren Lateinlehrer damals dazu animierte, uns durchs Klassenzimmer hüpfend mit einem beherzt vorgetragenen „sub aquaaaa sub aquaaa“ das Stilmittel der Lautmalerei nahezubringen, als sich die lästernden lykischen Bauern in Frösche verwandeln. Nach diversen weiteren Bearbeitungen, unter anderem in einem frühen Goethe-Gedicht (nicht zu verwechseln mit Prometheus, zu dem kommen wir gleich), schnappte sich George Bernard Shaw den Stoff und verwandelte ihn in eine scharfe Gesellschaftssatire, in der ein ambitionierter Sprachwissenschaftler einem Blumenmädchen die gehobene Sprache beibringen und sie damit nach seinem Willen formen will – was dann als Musical „My Fair Lady“ und letztendlich als Vorlage für das Hollywood-Märchen „Pretty Woman“ endete.

Diese eher kritische Sicht auf soziale Züge stellt Serge Le Tendre in seiner Adaption nicht in den Vordergrund, sondern rückt den Fokus nach eigenen Worten eher auf die Fragen der Menschlichkeit und des Strebens nach Wahrheit und Perfektion, die er in den griechischen Mythen stets entdeckt. Dabei kommt den Frauengestalten in Person von Aphrodite, Agape und auch Pygmalions verstoßener Mutter Bresia eine durchaus elementare Rolle zu, inklusive Mitgiftgeschacher und Doppelmoral der Männerwelt, während sich Pygmalion als bisweilen durchaus verhaltensgestörter Psychopath gebärdet, der das Idealbild für sich reklamiert. Damit rückt er dann doch in die Nähe eines Kollegen: „Er hält sich für Prometheus, unseren Schöpfer!“, so ordnet Agapes Dienerin diese Überheblichkeit ein, die schon den feuerstehlenden Titanen auszeichnete. Optisch ist diese Vision von Frédéric Peynet wunderbar elegisch-aquarellhaft umgesetzt, mit der Enthüllung der Statue Galatea sowie der wunderbar-melancholischen Schluss-Sequenz als Highlights. Eine wunderbare Neuinterpretation, der – wenn man Le Tendres Vorwort glauben darf – noch einige weitere Geschichten aus dem reichen Fundus der griechischen Mythologie folgen dürften. (hb)

Pygmalion und die Jungfrau aus Elfenbein
Text & Story: Serge Le Tendre
Bilder: Frédéric Peynet
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-063-1

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