Zwölf Jahre sind seit dem Ende der Boys vergangen. Inzwischen lebt Hughie wieder in seiner schottischen Heimat ein bürgerliches Leben. Mit Annie, der einstmaligen Starlight, Ex-Mitglied der Seven. Hughie ist wieder unbeschwert und beinahe glücklich, er kappelt sich gerne mit seinem alten Kumpel Bobby, der jetzt Bobbi heißt und eine Frau ist. Alles scheint bestens, eine Heirat mit Annie ist wohl nur eine Frage der Zeit. Da flattert Post ins Haus. Ein Tagebuch, verschickt von einem anonymen Absender. Verfasst von keinem Geringeren als Billy Butcher, dem Chef der Boys, der von Hughie getötet wurde. Und der ist sichtlich geschockt über die unvermittelt aufgetauchten Geister aus der Vergangenheit und beginnt dann doch die heimliche Lektüre.
In seinem Tagebuch berichtet Butcher aus der Zeit, ehe Hughie zu den Boys stieß. Die tun ihren Job und halten im Auftrag von oben in Gestalt von Colonel Mallory die von Vought geschaffenen Superhelden im Zaum, wenn nötig auch mit roher Gewalt. Als eine neue Supertruppe mit zweifelhaftem, wie provokantem Aussehen und Namen vorgestellt und eingeführt werden soll, wird man hellhörig. Denn die Skorchers, bestehend aus Sex Vicar, Teen Temptress, Poncing Poof, Black Thugg und Loony Leftie wurden innerhalb des Konzerns von einer anderen Abteilung lanciert. Deren Kopf ist ein gewisser Julian Baxter-Pugh, offenbar ein aufstrebender Manager, der Konzern-intern mit seinem Vorpreschen für eine Spaltung sorgen mag, mindestens aber für Ärger. Was Mallory und die Boys dann wieder ausnutzen könnten. Lägen die Dinge dann doch wieder nicht ganz anders als es scheint…
„The Boys“, die überaus erfolgreiche Anti-Superheldenserie von Autor Garth Ennis und Zeichner Darick Robertson, erschien ursprünglich zwischen 2006 und 2012 in 72 Heften, erst bei Wildstorm, dann bei Dynamite. Auf Deutsch wurde die Reihe bei Panini erstmals in 13 Sammelbänden veröffentlicht (inkl. dreier Miniserien). Die Amazon TV-Adaption, nicht minder beliebt, brachte es bisher auf zwei Staffeln, die teilweise erheblich von den Stories der Comics abweichen – jene sind zudem noch einiges härter, drastischer und respektloser, voller sarkastischem, schrägem Humor, mit parodistischen Zügen. Typisch Ennis eben, ein Grundhumor, wie wir ihn schon aus Preacher und seinem Punisher kennen. „Dear Becky“, so der Originaltitel, spielt nun zuerst in der Gegenwart – und zwar brandaktuell, denn Brexit und die Corona-Pandemie sind in aller Munde.
Ein Prequel und Sequel zugleich, wie es das Backcover ankündigt? Hughie lebt ein neues altes Leben und Annie wartet auf seinen Antrag. Das Tagebuch Butchers stört die vermeintliche Idylle, aber Annie kommt Hughie schnell auf die Schliche. Viel mehr Sequel gibt es vorerst nicht zu vermelden. Zumindest nicht bis zum Finale. Und die „Vorgeschichte“ der Boys? Wir erfahren einige Details aus Butchers Leben, vornehmlich im Zusammenhang mit Becky, seiner Frau (die ja später von den Seven ermordet wurde). Es gibt wieder diverse heftige Momente (die Szene mit dem Jungen, der durch das Aussprechen eines bestimmten Wortes vergeblich zum Superheld werden will, ist in ihrer respekt- und schonungslosen Art ein typischer Ennis), aber erstaunlich viel Story spielt sich lediglich in den Sprechblasen ab, was einige Lese-Längen zur Folge hat.
Von den Skorchers, deren schräg-obszönes Auftreten durchaus Potenzial hätte, sieht man kaum etwas und die Kampf- und Action-Szenen werden eher schnell abgehandelt. Die übrigen Boys Mitglieder bleiben im Hintergrund, Story und Text konzentrieren sich auf Butcher und seine Tagebucheinträge. Die Geschichte schreitet vergleichsweise konventionell (und wortreich) voran. Stammzeichner Darick Robertson, der sich jüngst John Constantine im Rahmen der DC Black Label Reihe widmete, steuert lediglich die Cover bei. Die Zeichnungen stammen von Russ Braun, der vorher schon an „The Boys“ mitarbeitete und dessen Stil gut zu dem von Robertson passt, ohne sich jedoch detail-technisch zu verausgaben. „Liebe Becky“ ist ein Nachschlag für Fans, im Fahrwasser der Amazon-Serie. In etwa vergleichbar mit dem, was „El Camino“ für „Breaking Bad“ war. Zusätzliches Futter, ein Add-On, beileibe nicht übel, aber auch nicht überlebenswichtig. (bw)
The Boys: Liebe Becky
Text: Garth Ennis
Bilder: Russ Braun, Tony Avina (Farben)
188 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
20 Euro
ISBN: 978-3-7416-2158-1