Hart geht es zu auf der Farm, die irgendwann von den Menschen verlassen und sich selbst überlassen wurde. Farm trifft es ohnehin nicht ganz, eher eine Burg scheint man sich da errichtet zu haben, bevor aus nicht näher erklärten Gründen die Herrschaft an die Tiere überging. Dabei hat sich eine gnadenlose Hackordnung herausgebildet, in der buchstäblich das Recht des Stärkeren gilt. Unangefochtener Herrscher ist der Stier Silvio, der mit eiserner Hand regiert und mit Hilfe seiner Miliz aus geifernden Doggen ein wahres Terrorregime errichtet hat. Auf kleinste, auch nur behauptete, Verfehlungen steht der Tod am Gerichtspfahl, während die Tage sich in scheinbar endlosen Arbeitseinsätzen auf den Feldern rings um das Schloss dahinwälzen. Gesammelt wird alles – angeblich – im zentralen Vorratsspeicher, woraus die Herrscherclique dann großmütig Lebensmittelrationen gegen die zur Währung mutierten Knöpfe verkauft.
Mittendrin ist dabei die Katze Miss Bengalore, die ihre zwei Kinder alleine durchbringen muss und auf der Baustelle eine Arbeit verrichtet, für die sie eigentlich viel zu schwach ist. Eines Tages allerdings kommt eine Wanderrate ins Schloss und veranstaltet ein Schattenspiel um ein kleines, bebrilltes Männlein, das in einem fernen Land einen mächtigen König zu Fall brachte – ohne Gewalt, nur mit zivilem Ungehorsam. Die anwesenden Aufpasser aus der Miliz erkennen sofort das aufrührerische Potenzial und jagen die Ratte fort, aber Miss B. rettet den Gaukler namens Azelar Graugreis und versteckt ihn auf einem vergessenen Dachboden. Dort lauscht sie gemeinsam mit dem Hasen Caesar, mit dem sie sich widerwillig anfreundet, der gewagten Theorie der Ratte: nicht Gewalt könne das Regime von Silvio stürzen, aber die Lächerlichkeit und der Humor. Und so machen sich Miss B. und einige wenige Mutige auf die gefährliche Mission, den Herrscher zu verunglimpfen – was natürlich massive Repressionen zeitigt…
„Alle Tiere sind gleich – aber einige sind gleicher“, diese zentrale Erkenntnis eines korrumpierten kommunistischen Experiments steht im Kern von George Orwells „Animal Farm“, jener Fabel, auf die Xavier Dorison hier in Titel, Handlungselementen und auch im Vorwort ganz explizit Bezug nimmt. Der von diversen Regimes enttäuschte Sozialist Orwell lieferte 1945 mit seinem Gleichnis eines Bauernhofs, den die Tiere übernehmen, eine bittere Metapher für die immer gleichen menschlichen Schwächen: die vermeintliche Gerechtigkeit schlägt in Tyrannei um, einige wenige schwingen sich zur Herrscherkaste auf, die unter dem Deckmantel von hohlen Phrasen das längst nicht mehr herrschende Volk für sich schuften lässt und sich selbst dabei trefflich bereichert. Das klappte nicht nur in Russland hervorragend, auf was Orwell direkt anspielte und seine Allegorie selbst als „Satire gegen Stalin“ beschrieb; auch andere, bevorzugt „demokratisch“ oder „Volksrepublik“ benannte Konglomerate von der Couleur einer DDR, Nordkorea und Kongo drifteten stets in ähnliche Richtungen ab.
In Xavier Dorisons symbolischem Schloss spielen sich die gleichen Mechanismen ab: das Volk wird bewusst kurz gehalten, angebliche Ernte-Ausfälle dienen nur dazu, die Tauschgeschäfte des Königs zu finanzieren, der regelmäßig alle Erzeugnisse der Farm auf einen Wagen packt und draußen auf dem Schwarzmarkt gegen Champagner und Kaviar tauscht, den er mit seiner Clique konsumiert. Entgegen allerdings des pechschwarzen Zynismus, den Orwells Fabel (und schließlich auch sein Hauptwerk „1984“, das kurz nach „Animal Farm“ entstand) kennzeichnet, lässt Dorison zumindest ein Fünkchen Hoffnung zu: das Silhouettenspiel der Wanderrate lässt sich unschwer als Verweis auf Gandhi erkennen, der nur durch passiven Widerstand und die „Macht der Wahrheit“ das Joch der englischen Kolonialisten abwarf. Dazu passt auch die Protagonistin, deren Name auf Bangalore – eine der wichtigsten indischen Metropolen und einer der zentralen Stützpunkte der East India Company – anspielt. Und sogar ein bisschen Humor darf es sein: der Hase Caesar (bitteschön!) verdient seine Karotten als Rammler, der reihenweise gelangweilte Hausfrauen-Häsinnen beglückt, aber sich allmählich als durchaus verantwortungsvoller Held bewährt. Das ist doch auch eine Karriere! Band 2 (von 4) ist schon in Arbeit und kommt im Januar nächsten Jahres. (hb)
Schloss der Tiere, Band 1: Miss Bengalore
Text: Xavier Dorison
Bilder: Félix Delep
72 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
17 Euro
ISBN: 978-3-96219-185-6