Supertoys last all Summer long – das denken zumindest die armen Jungs aus dem Slum West Abbey, die reihenweise verschwinden. Denn als Lady Mechanika in einer geheimnisvollen Mordserie ermittelt, bei der unmenschliche Experimente an Kindern vorgenommen werden, findet sie am Tatort nicht nur den formidablen Kriminalinspektor Singh, sondern auch halbmechanische Spielzeug-Teddybären. Die Puppen tragen allesamt seltsame Schriftzeichen und weisen ein Fach auf, in dem sich beschriebene Zettel finden. Mit dieser Spur machen sich Mechanika und Singh auf zur Synagoge, wo ihnen der weise Rabbi Ephraim die Legende vom Golem eröffnet, jener mythischen Gestalt, die der jüdischen Gemeinde Dienstbote und Beschützter zugleich sein soll. Nachdem der Golem aber niemals durch Menschenopfer erzeugt wird, scheint hier etwas anderes vorzugehen – und als Lady Mechanika und ihr ermittelnder neuer Gefährte über den Spielzeughersteller schließlich die Spur des Auftraggebers Mr. Durrant und dessen Rabbi Zevi aufnehmen, enthüllen sie schließlich ein wahrhaft monströses Geheimnis…
Szenenwechsel: 1888 kommt Lady Mechanika in Mexiko City an. Möglichst weit weg will sie von zu Hause, um den Erinnerungen an einen toten alten Freund zu entrinnen. Da scheint sie hier gerade richtig zu sein: am Bahnhof schickt sie der alte Bembé, der ihre innere Not zu spüren scheint, geradewegs ins Dorf Santa Catrina, wo sie die Gastwirtin Dona Aniceta wärmstens in Empfang nimmt. Der ganze Ort bereitet sich gerade auf ein großes Fest vor, zu dem Aniceta auch Mechanika herzlich einlädt: so könne sie ihren Frieden finden, ist Aniceta überzeugt. Mechanika bleibt anfangs skeptisch, aber die Begeisterung der beiden Enkel Lucito und Zita springt dann doch noch über. Und so stürzt sich die mechanische Dame, komplett mit Totenkopf-Schminke, in das nur auf den ersten Blick makabre Fest des Dia de los Muertos – dem Tag der Toten, bei dem die Hinterbliebenen fröhlich tanzen, singen und mit ihren Verstorbenen feiern, wie diese es sich gewünscht hätten. Bei Zita klappt das alsbald wunderbar, sie parliert emsig mit der geisterhaften Präsenz des verstorbenen Vaters, und auch Mechanika glaubt sich in der Gegenwart des verstorbenen Freundes. Dann allerdings wird das bunte Treiben empfindlich gestört: ein gefolterter und fürchterlich verletzter kleiner Junge torkelt umher. Anicata erklärt der entsetzten Mechanika, dass dies eine Mahnung der Jinetes del Infierno ist, jener Höllenreiter, die ihre Seele einst der Herrin des Todes verschrieben und seitdem blutigen Tribut unter den Menschen eintreiben. Das geht dann doch entschieden zu weit: Mechanika schnallt die Knarren um und schwört, den Ort ein für alle Mal von dieser Heimsuchung zu befreien…
In diesen zwei abgeschlossenen Storybögen bedient sich das Kreativteam um Joe Benitez mit gewohnt freudiger Schaffenskraft aus verschiedenen mythologischen Quellen. War es bei der Geschichte um die Schicksalstafel noch die altehrwürdige Alchemie, steht bei „Die verlorenen Jungen von West Abbey“ die jüdische Legende des Golem Pate – jenes Wesens, das der weise Rabbi Löw für die jüdische Gemeinde in Prag aus Lehm schuf, um (komplett mit magischen Schriftrollen im Mund) die Bevölkerung gegen die Attacken von außen zu schützen. Nicht zuletzt in der Verfilmung von Paul Wegener aus dem Jahr 1920 etablierte sich der Golem im populären Bewusstsein als Sinnbild des Geschöpfs, das sich gegen seinen Schöpfer wendet – so wie auch der grausame alte Durrant Wissenschaft und Magie korrumpiert, um sein eigenes siechendes Leben zu verlängern (ein Motiv, das sich durch die klassische Horrorliteratur und –filmgeschichte zieht wie ein blutroter Faden).
Etwas näher an Benitez‘ eigener kultureller Verortung liegt dann die Welt der mexikanischen Totenrituale: das für Gringos stets etwas absonderliche Totenfest wird hier behutsam und verständlich erklärt, allerdings nicht, ohne durch die Herrin des Todes und ihre feurigen Höllenreiter noch einen apokalyptischen Zug hineinzubringen, der sich den brennenden Weg bis hin zu einem gewissen Johnny Blaze bahnt, der als Ghost Rider eindeutig in der Tradition der flammenden Reiter steht (nutzloses Partywissen gibt’s noch on top: das Karl-May-Vehikel „Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten“ von 1968 lief in Mexiko unter dem bedeutungsschweren Titel „Jinetes al infierno“ – da sage mal einer, „Frankensteins Todesrennen“ für das „Death Race 2000“ sei der erste wunderliche lokale Filmtitel). Das auch optisch spektakuläre Treiben setzen Benitez und sein Kumpel Martin Montiel wie immer bestens in Szene, gerne auch in ganzseitigen Pin Up-Motiven einer wie gewohnt lasziv-prallen Mechanika, die auch außerhalb der Steampunk-Szenerie einen schlanken Fuß macht. Wie stets hochwertig aufgemacht, mit Skizzen und einem kleinen Interview, reiht sich auch dieser Band nahtlos ins faszinierende Universum der künstlichen Dame ein. (hb)
Lady Mechanika, Band 4: La Dama de la Muerte
Text: Joe Benitez, M. M. Chen
Bilder: Joe Benitez, Martin Montiel, Beth Sotelo, Peter Steigerwald
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-112-2