Der grosse Schwindel (Erko)

Mai 10, 2016

Der grosse Schwindel (Erko)

Irgendwann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, in der kleinen verkommenen wie korrupten Bananenrepublik La Colonia in Südamerika. Hier lebt der ehemalige Polizist Donald Reynoso, der in billigen Spelunken seine gescheiterte Karriere zu ertränken versucht. Ausgerechnet ihn sucht eine attraktive junge Dame auf, die sich sogleich als Melinda Centurion, die „Heilige Jungfrau“, entpuppt. Die ist die (unfreiwillige) Mätresse ihres Onkels, des Präsidenten, den man auch die „große Marionette“ nennt. Der Staatsautor („Schreiber des Volkes“) Milton Bates stilisierte sie auf Geheiß der Marionette zur Wunder tuenden Jungfrau, um so dem Volk Keuschheit beizubringen. Die (geplante und doch weit hergeholte) Folge: weniger Kinder und damit weniger Zulauf für die Rebellen, die sich als Guerillas in den Hügeln um La Colonia verbergen.

Melinda hat ein Problem: sie wird erpresst. Anonym erhält sie kompromittierende Fotos, die sie mit einem Minister bei einem eindeutigen Stelldichein zeigen. Dieser Minister ist Pedro Reynoso-Artus, Donalds Halbbruder, mit dem er heillos zerstritten ist. Natürlich erliegt Donald den Reizen Melindas und ermittelt in der Sache. Bald stellt sich heraus, dass die Fotos der schurkische Deutsche Reiner von Fritz (!) machte und verschickte, und zwar aus Rache, weil er dereinst von Melinda abgewiesen wurde. Zu ihrem Schutz versteckt Donald seine neue Flamme und versucht zwischen seinem Halbbruder und von Fritz zu vermitteln, was nicht funktioniert. Stattdessen erfährt er, dass die „große Marionette“ ihm den gefürchtetsten Killer des Staates auf den Hals gehetzt hat: den Leguan. Jetzt zieht sich das Netz um Donald und Miranda immer enger und ausgerechnet Autor Milton Bates könnte eine rettende, wenn auch höchst riskante Idee haben…

Was als beinahe klassische Noir Story beginnt, mit exotischem Setting, hardboiled Detective und Femme Fatale, die einander hoffnungslos verfallen, wandelt sich bald. Mit dem Chef-Killer Leguan halten groteske Elemente Einzug in die Handlung. Völlig überzeichnet, beinahe parodistisch – hässlich wie die Nacht, inklusiver gespaltener Zunge und übermenschlichem Geruchs- und Spürsinn – bestimmen er, bzw. die Flucht vor ihm, weite Teile der Handlung. Eine Kehrtwende, die man als Leser etwas ratlos hinnimmt. Andererseits geht vom Leguan ob seines kompromisslosen Vorgehens und seines grausamen Wesens eine gewisse Faszination aus. Am Ende steht dann ein Drama von beinahe Shakespeare’schen Ausmaßes, welches nur Verlierer hervorbringt. Auch sonst bietet der Band stereotype Figuren, von der gutherzigen Puffmutter, über einen fettleibigen Präsidenten in Fantasie-Uniform zum hässlichen Deutschen, der samt Komiss-Frisur und Monokel an Erich von Stroheim erinnert.

Zwei Kunstgriffe, bzw. Stilmittel, mit denen die Autoren mit dem Leser spielen, verblüffen: diverse Charaktere, wie Milton Bates, wenden sich direkt an den Leser, scheinen bei dieser Interaktion auf einer Bühne zu stehen und berichten über ihre Vergangenheit oder die der Hauptpersonen. So werden zuerst die Figuren eingeführt, charakterisiert und deren Vita geschildert, womit sie in der Story positioniert werden. Später rufen diese Charaktere auch Warnungen und Kommentare an den Leser aus, was das dramatische Ende der Geschichte einläutet. Neben diesem Durchbrechen der vierten Wand lassen Trillo und Mandrafina die Nacht nicht enden, ehe die Geschichte komplett erzählt wird. Über 40 Stunden dauert die Nacht dann schon an – völlig ohne dass erklärt wird, wieso – und Milton Bates wird sogar gezwungen, sich im Rahmen der üblichen Propaganda einen poetischen Firlefanz auszudenken, um das Volk zu beruhigen (was nebenbei bemerkt auch klappt). Erst als das Finale beendet ist, fällt der Vorhang, wird es wieder Tag.

Die beiden Argentinier, der Autor Carlos Trillo (der leider bereits 2011 verstarb) und der Zeichner Domingo Roberto Mandrafina kennt man auch in Deutschland. Vor allem Trillo, in Angoulême und Erlangen preisgekrönt, machte sich mit „Fulu“ (im alten Splitter Verlag) und „Vampire Boy“ (bei Cross Cult) einen Namen. Eine weitere Zusammenarbeit der beiden ist der Zweiteiler „Dragger“, der Mitte der Neunziger bei Arboris erschien. In detailreichen, eleganten Bildern, die bestens zum Zeitkolorit passen und die in der Tradition von Zeichnern des spanischen Sprachraums, wie Jordi Bernet oder Alfonso Azpiri stehen, erzählen Trillo und Mandrafina eine ungewöhnliche Geschichte über brutale Männer und leidende Frauen, die tatsächlich von diversen großen Schwindeln durchzogen ist, sei es die vermeintliche heilige Jungfrau, oder für Ex-Cop Donald Reynoso das Leben selbst. (bw)

Der grosse Schwindel
Text: Carlos Trillo
Bilder: Domingo R. Mandrafina
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Erko Verlag
24,95 Euro

ISBN: 978-90-89821-02-7

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