Geradezu monströs – durchaus passende Wortwahl in diesem Zusammenhang – mutet mittlerweile der Erfolg des ‚Attack on Titan‘-Franchise an: die von Hajime Isayama ersonnene Saga um ein Schärflein Menschen, das sich hinter riesigen Mauern vor menschenfressenden Riesen zurückzieht, bringt es mit ‚No Regrets‘ auf einen weiteren Spin off. War im ersten Ableger ‚Before The Fall‘ noch die zeitliche Perspektive variiert – dort konnte man einen Blick auf Ereignisse erhaschen, die sich 70 Jahre vor der Hauptstory zutragen – legen Schreiberling Gun Snark (u.a. Nitroplus) Zeichner Hikaru Sugura hier den Fokus auf andere Bevölkerungsschichten. In der Hauptserie erleben wir ja Haupt- und Staatsaktion, hier können wir nun verfolgen, wie sich die Benachteiligten in der neuen, unmenschlichen Welt durchschlagen müssen.
Dies sehen wir am Beispiel von Levi, der buchstäblich im Untergrund lebt. Als erste Reaktion auf die Angriffe der Unholde hat sich die Menschheit nämlich zunächst unter die Erde geflüchtet, diesen Plan aber dann schnell wieder aufgegeben und die Siedler unter Tage ihrem Schicksal überlassen. Dort hat sich dann eine Parallelwelt entwickelt, geprägt von Verbrechen und Tod, in der Diebe wie Levi ums Überleben kämpfen und dabei notgedrungen geschickte Kampftechniken entwickeln. Die beeindrucken auch Erwin Smith (kein Witz, heißt so), den führenden Kopf eines Aufklärungstrupps, der für eine gewagte neue Formation, die er gegen die Titanen erproben will, von den einflussreichen Militärbossen keine Freigabe bekommt. Durch geschickten politischen Druck gelingt ihm dies dann doch, und kurzerhand rekrutiert man Levi und seinen bunten Haufen, die entweder mit kämpfen oder im Gefängnis verschmachten dürfen. Levi, der eigentlich nur auf die Gelegenheit wartet, Smith zu töten, willigt ein und zieht mit ins freie Feld. In dieser für alle ungewohnten Umgebung vor den Toren der Einfriedung kommt es auch gleich zum ersten Aufeinandertreffen mit zwei Titaten, in der sich Levi durch waghalsige „3D“-Kampfmanöver (fliegen mit allen Tricks, um genauer zu sein) auszeichnet und den ganzen Trupp vor dem sicheren Untergang rettet und Smith so Respekt abnötigt. Fortsetzung folgt bestimmt!
Gun Snark gelingt hier ein durchaus spannender Perspektivenwechsel, indem die Story (wie schon bei ‚Before the Fall‘) weniger auf die Angriffe der Übermonster, sondern vielmehr auf die zwischenmenschliche Ebene verlagert wird. Innerhalb des Gesamtgerüsts der Saga – in einer postapokalyptischen Welt brechen die allzumenschlichen Züge wie Macht, Eigennutz und Gier umso stärker hervor – nutzt er den aus der Zeitmaschine und anderen utopischen Stoffen bekannten Kunstgriff der Teilung in Ober- und Unterwelt (so etwa auch bei der Rückkehr zum ‚Planet der Affen‘ und auch ‚Logan’s Run‘) und entwickelt daraus eine durchaus vielschichtige Konfrontation zweier Gesellschaftsebenen, verkörpert im Draufgänger Levi und Erwin, der auch nicht gerade unbescholten daherkommt.
Hikaru Sugura hat nach eigenem Bekunden zur optischen Gestaltung der Unterwelt-Szenen Anschauungsunterricht in Saitama bei Tokyo genommen, wo sich das weltgrößte unterirdische Entwässerungs- und Kanalisationssystem der Welt findet. Seine Eindrücke setzt er gekonnt in erdrückende, fast erschlagene Bildkompositionen um, die dann gegen Ende von den Sequenzen in der freien Landschaft kontrastiert werden, die auf ihre Art – Hitchcocks Unsichtbarer Dritter und sein weites Kornfeld lassen grüßen – eben durch ihre Unbegrenztheit mindestens genauso bedrohlich wirken. Ein frischer Blick auf das Titan-Universum, der schmissig erzählt und flott inszeniert durchaus Freude macht. (hb)
Attack on Titan – No Regrets, Band 1
Text & Bilder: Hajime Isayama, Gun Snark, Hikaru Suruga
194 Seiten in schwarz-weiß, Taschenbuch
Carlsen Verlag
6,95 Euro
ISBN: 978-3-551-74422-7