Werfen wir gemeinsam mit unserem Lieblingsmutanten einen Blick zurück auf dessen epische Keilerei mit der Gestaltwandlerin Mystique. Ein Vierteiler, bei uns Dezember 2008 und Januar 2009 als Schnapp Mystique! erschienen in den Panini-Heften Wolverine (Vol. 2) Nr. 59 und 60 und (nur) in den USA als Sammelband. Los geht’s:
Streitereien, ja sogar Auseinandersetzungen sollen ja in den besten Beziehungen vorkommen, aber da geht es dann ja meistens darum, dass der Herr mal wieder nicht den Müll runtergebracht oder die Dame gefühlte 328 Minuten vor dem Spiegel stand und naive Bauernmalerei betrieb. Wenn besagte Dame das allerdings gar nicht nötig hat, weil sie eine blauhäutige Gestaltwandlerin ist, die ihr Aussehen ohnehin nach Belieben verändern kann und diese Gabe auch für ihre zutiefst verwerflichen Ziele eiskalt einsetzt, und weil der in Rede stehende Herr ein mit psychopathischen Zügen ausgestatteter Wüterich mit animalischem Charakter, Klauen und einem Adamantium-Skelett ist – dann sieht die Sache ganz anders aus, dann muss sogar Dr. Bachmaiers Beziehungsberatung eingestehen: hier hält man sich am besten einfach heraus.
Denn nachdem Raven einmal zu oft die X-Men aufs Kreuz gelegt hat – um das erste nach dem M-Day geborene Mutantenkind in ihre Gewalt zu bringen, hat sie unsere allseits beliebten Mutanten an Mr Sinister verraten, und dabei lassen wir es mal, wer es genau wissen will, der kann sich gerne in das Mammutwerk The Messiah Complex vergraben – macht sich der wutentbrannte Logan auf eine kompromisslose Hetzjagd, die ein einziges Ziel verfolgt: Get Mystique, schnapp sie, und mach ihr durchaus gewaltsam den Garaus. Das gestaltet sich allerdings als leidlich schwierig – auf der wilden Hatz, die von Bagdad bis nach Afghanistan führt, versteht es die blaue Schönheit eins ums andere Mal, arglose Menschlein (und auch den Leser) derart zu verwirren, dass sie entweder frontal auf Wolverine losgehen oder ihr zu Hilfe eilen (was soll man auch tun, wenn sie eine harmlos wirkende Nonne mit Flüchtlingskindern mimt?).
Aber Logan wäre nicht Logan, wenn er sich davon beirren lassen würde – er steht ungerührt im Kugelhagel, lässt sich überrollen und sprengt sich schließlich sogar selbst als vermeintlicher Attentäter gen Himmel, um ins Hauptquartier der Armee und somit in die Nähe seiner Hassliebe zu gelangen. Denn darum geht es ja letztendlich – der abgrundtiefe Zorn, der Wolverine bei seiner gnadenlosen Jagd antreibt, legt nahe, dass hier mehr im Spiel ist als nur Vergeltung für den Verrat an seinen Kumpels. Und in der Tat verbindet die beiden doch einiges, man kennt sich offenbar schon seit den 20er Jahren, als Mystique erst in Mexiko und dann in Kansas City ihr Unwesen treibt und Logan in ihre Netze und auch Arme lockt. Im gewalttätigen (und wie!) Finale gräbt Logan dann tatsächlich seine Klauen in seine geliebte Widersacherin, die ihn ihrerseits in den Kopf schießt und dabei belehrt, dass er sie doch nur deshalb so verachte, weil er sie beneidet – darum, dass sie nie der Versuchung nachgegeben hat, in den X-Men eine Art Familie zu sehen, die sie vor den inneren Dämonen rettet. Sondern weil sie eben akzeptiert, wie sie ist. Und daran ist ja durchaus etwas dran…
Jason Aaron (u.a. auch zuständig für Thor: God of Thunder) hält sich bei dieser Story (liegt vor als US Trade Paperback, ursprünglich erschienen als US-Wolverine (Vol. 3) 62-65) ganz bewusst aus der übermächtigen (und teilweise doch recht verworrenen) X-Men-Mythologie heraus – gewissermaßen als Epilog zum Mega-Event The Messiah Complex, der sich als Crossover 2007-2008 durch sämtliche X-Men-Titel zog, liegt das Augenmerk hier ganz auf zwei der psychologisch fragwürdigsten und somit spannendsten Figuren des X-Universums. Auch oder gerade weil die Handlung dabei überschaubar bleibt (Logan nimmt die Fährte auf, Raven entschlüpft ihm, zurück auf los), entwirft Aaron einen faszinierenden Blick auf zwei antisoziale Gestalten, die nicht nur deshalb außerhalb der Gesellschaft stehen, weil sie Mutanten sind: beide folgen ihrer eigenen nihilistischen Moral, die bei Logan nur vage durch die Zugehörigkeit zu Xaviers Truppe in halbwegs konstruktive Bahnen gelenkt wird (nicht umsonst spielt der Titel auf das britische Gangster-Epos Get Carter an). Eben weil er ähnliche Züge in ihr entdeckt, entfesselt Logan einen wahren Vernichtungsfeldzug – Raven Mystique verkörpert alles, was er an sich hasst, aber nicht gänzlich verleugnen kann. Und dass sie auch noch im wahrsten Sinne tierisch sexy ist, hilft auch nicht gerade weiter (immerhin haben sie ja angeblich ein Kind zusammen, siehe X-Men: Der letzte Mensch, das ist ja auch nicht vom Himmel gefallen)…
Ron Garney inszeniert diese Orgie in teilweise sehr heftigen Panels, die sich insbesondere im Finale in für ein Mainstream-Comic durchaus gewagten Dimensionen bewegen und das parental advisory-Schildchen mehr als verdienen (und der verkohlte Logan, der sich selbst gesprengt hat, dürfte wohl auch die Macher des letzten Wolverine-Kino-Abenteuers beeindruckt haben, in dem er gleich eingangs den Atombombenabwurf überlebt, natürlich ein wenig zerzaust). So entsteht ein kurzweiliges, auch für Einsteiger bestens geeignetes, brutales Lesevergnügen – nichts für zarte Gemüter, aber sehr lehrreich für alle, die denken, sie hätten Beziehungsprobleme. (hb)
Wolverine: Get Mystique!
Text: Jason Aaron
Bilder: Ron Garney
96 Seiten in Farbe, Softcover
Marvel USA
ca. 8,50 Euro
ISBN: 978-0-78512-963-9