Der Passagier der Polarlys (Carlsen)

April 30, 2025
Der Passagier der Polarlys (Carlsen Verlag)

Paris, Vergnügungsviertel Montparnasse: die naive Marie Baron lässt sich ansprechen, in eine haltlose Party hineinziehen und überlebt die Nacht nicht – im Atelier eines gewissen Max Feinstein, der selbst seit zwei Wochen auf Reisen ist, findet die Putzfrau am nächsten Tag ihre Leiche. Diese Ereignisse werfen ihre Schatten bis nach Hamburg, von wo das Dampfschiff Polarlys unter dem Kommando von Kapitän Petersen Richtung Norwegen auslaufen soll und von Anfang an von diversen Unglücken heimgesucht ist. Als Ersatz für den malariaerkrankten dritten Offizier kommt der Grünschnabel Vriens an Bord, gemeinsam mit einer illustren Schar von Passagieren: der norwegische Minenbetreiber Bell Evjen will nach Hause, der deutsche Ingenieur Arnold Schuttinger reist geschäftlich, und die exaltierte Katia Storm gibt sich bohèmehaft.

Verschwunden bleibt der ebenfalls angemeldete Ernst Ericksen, während sich Polizeirat von Sternberg unter dem Decknamen Herbert Wolf an Bord begibt, um einer Spur zu Folgen, die auf die Polarlys führt. Bald nach Auslaufen nimmt das Unheil seinen Lauf: Sternberg wird ermordet, in seiner Kabine findet Petersen Zeitungsberichte über den Mord in Montparnasse, dessen Täter Sternberg offenbar auf der Polarlys vermutete. Bald darauf geht in der Dunkelheit jemand oder etwas über Bord, man vermutet zunächst, Ericksen sei der Täter und habe sich selbst gerichtet, wobei Petersen an diese Sache nicht so recht glauben will – sein Heizer versichert ihm, da habe nur jemand einen Kohlesack über Bord geworfen, um eine falsche Fährte zu legen.

Als man immer mehr Richtung Eismeer gelangt und die Anlegestellen spärlicher werden, legt Katia Storm immer seltsamere Manieren an den Tag, betrinkt sich ausgiebig und macht durchaus offenkundig, dass sie den dritten Offizier Vriens schon in Hamburg um den Finger gewickelt hatte. Als es an Bord zu Diebstählen kommt und auch noch ein Telegramm ankommt, aus dem hervorgeht, dass man in Paris Max Feinstein verhören konnte und sich der angabegemäße Mörder Rudolf Silberman unter falschem Namen auf die Polyarlys geschlichen haben muss, sieht sich Kapitän Petersen in einer verzwickten Situation…

Als Georges Simenon Anfang der 30er Jahre mit dem knorrigen alten Kommissar Maigret eine der ikonischsten Figuren der Kriminalliteratur schuf, wandte er sich damit von den frivolen Unterhaltungsromanen ab, den Romans Populaires, die er leicht verschämt unter dem gekürzten Namen Georges Sim veröffentlicht hatte. Zeitgleich zum durchschlagenden Maigret-Erfolg verfasste Simenon ganz bewusst auch „non-Maigret“-Werke, von ihm selbst auch als „Romans Durs“, also ernstzunehmende Romane, bezeichnet – nicht zuletzt, weil sein Verlag die Figur des Maigret nur unter der Bedingung akzeptiert hatte, dass Simenon auch weiterhin andere Werke liefern würde.

Inhalt und Ton waren dort oft rauer als in den Maigret-Büchern, wo der Fokus eher auf der Psychologie des Täters denn auf der Schuldfrage lag. Bei den Nicht-Maigrets erleben wir die Umstände der Tat oft mit, ein guter Ausgang oder eine Klärung des Verbrechens sind nicht immer selbstverständlich. Düstere Stimmung und dunkle Vorahnungen kennzeichnen auch den frühen Roman Dur „Le Passager de Polarlys“, der – inspiriert von einer Reise auf einem tatsächlich so benannten Dampfer, die Simenon 1929 unternahm – erstmals 1930 als Fortsetzungsroman in 32 Teilen erschien, bevor dann 1932 die Buchausgabe bei Fayard das Licht der Welt erblickte.

Auch wenn keine zentrale Ermittlerfigur auftritt, so agiert Kapitän Petersen doch wie ein Detektiv in der Story, die wie ein klassischer Kriminalroman aufgebaut ist, dessen Setup auch von der Queen of Crime Agatha Christie stammen könnte: ein Mord in leicht fragwürdigem Milieu, jede Menge Verdächtige, die auf engem Raum verweilen müssen, während die Spannungen immer weiter steigen, in dieser Konstellation ermittelte auch Hercule Poirot im Orientexpress und auf einer Nilkreuzfahrt. Die roten Heringe werden ausgelegt, am Ende entwirrt sich das Knäuel, aber ein finsterer Beigeschmack bleibt, nicht zuletzt wegen der durchaus ruppigen Zwischenfälle, von Mann über Bord bis hin zu umherfliegenden Ausrüstungsteilen, die Passagiere verletzen.

Optisch inszeniert Christian Cailleaux das mit durchaus deftiger Sprache aufwartende Szenario von José-Louis Bocquet aquarellhaft im franko-belgischen Stil, mit teilweise alptraumhaften Sequenzen des Schiffs in der stürmischen Polarnacht, die am Ende dann doch einem halbwegs versöhnlichen Sonnenschein weicht. In einem kleinen Nachwort erfährt der geneigte Leser allerlei Wissenswertes rund um Simenon und den Roman Dur – was fehlt, ist allerdings die Erkenntnis, dass man die aus der Fernsehwerbung bekannten Hurtigruten auch heute mit einem Schiff namens Polarlys befahren kann. Hoffentlich ohne Zwischenfälle. (hb)

Der Passagier der Polarlys
Text & Story: José-Louis Bocquet, nach Georges Simenon
Bilder: Christian Cailleaux
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-551-80420-4

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