Edward Nashton hat es alles andere als leicht im Leben. Von seiner Mutter wurde er nach der Geburt vor dem Gotham Waisenhaus abgelegt, wo er fortan ein eher kärgliches Leben fristet. Nach durchaus traumatischen Jahren fasst der hochbegabte Sonderling Fuß bei einer Wirtschaftsprüfungskanzlei, wo er alsbald als kauziges Zahlengenie gilt. Edward leidet unter seiner Vergangenheit, empfindet Gotham als Moloch und findet Bestätigung in der Internet-Community Nigma.Org, wo Wirrköpfe ihre Thesen verbreiten – nicht zuletzt zu dem maskierten Vigilanten, der in letzter Zeit Gothams Unterwelt das Fürchten lehrt.
Eines Tages stößt Edward bei einer Aktenprüfung auf verdächtige Zahlungen, die von einem Firmengeflecht namens „Waterfront Industries“ hin zur gemeinnützigen Stiftung „Renewal Program“ gehen, die seinerzeit von Thomas Wayne als Perspektive für Gothams Jugendliche gegründet wurde. Als sein Chef davon nichts wissen will, nimmt Edward selbst per Überwachungskameras die Spur auf und stellt schnell fest, dass man hier offenbar Geldwäsche im großen Stil betreibt. Als man einen der Geldkuriere bestialisch ermordet und Edward dies per gehackter Überwachungskamera live mitverfolgt, beschließt er endgültig, einzugreifen. Per Geheimchat gelingt es ihm, mit Batman Kontakt aufzunehmen, während er sich Zugang zu dem top gesicherten „Mountain Security“-Archiv verschafft, in dem alle Unterlagen der Wirtschaftsprüfungskanzlei lagern.
Dort fügt Edward in akribisch-manischer Spurensuche alle Puzzlestücke zusammen und deckt eine gigantische Verbrechensmaschinerie auf: Drogengelder werden über Scheinfirmen ins System geschleust und dann unter dem Deckmantel großzügiger Spenden an Polizei, Staatsanwaltschaft und auch Edwards Arbeitgeber verteilt, während im Hintergrund der Mafia-Boss Falcone die Fäden in der Hand hält. Heimgesucht von den Schatten seiner Vergangenheit im Waisenhaus, gleitet Edward zunehmend in eine Psychose ab, in der er sich als Kampfgefährte Batmans sieht und einen gewaltigen Schlag gegen „das System“ plant, der alle korrupten Fieslinge buchstäblich überfluten soll…
„Riddle me this, Batman“, mit dieser Catchphrase sprang ein spaßiges Männlein umher, gekleidet in quietsch-grünem Outfit inklusive diverser Fragezeichen. Der Riddler Edward R. Nigma (in der deutschen Übersetzung gerne auch mal „Mr. Sphinx“ genannt), ersonnen von Bill Finger und Dick Sprang, gehört seit seinem Debüt in Detective Comics 140 von 1948 zum festen Schurken-Inventar im Batman-Universum, dessen Markenzeichen raffinierte Rätsel sind, mit denen er seinem Kontrahenten Hinweise auf seine Missetaten gibt. Vom clownesken Gebaren der 60er, kulminierend in der kultig-trashigen TV-Serie, wich schon Tom King in seinem One-Shot „One Bad Day: Riddler“ ab, in dem er eine ganz und gar nicht spaßige Backstory entwickelte und den Riddler als knallharten Psychopathen darstellte.
Einen Schritt weiter ging dann zur gleichen Zeit Matt Reeves im düsteren Leinwandepos „The Batman“, in dem Paul Dano den Rätselmacher als „high functioning sociopath“ (ganz nach „Sherlock“-Manier) darstellte, der radikal gegen Unterwelt und Batman gleichermaßen vorgeht, was in einer absichtlich herbeigeführten Flutwelle kulminiert – finale Rettungsszene in bester „Metropolis“-Bildsprache inklusive. Die Vorgeschichte des psychopathischen Zahlenmeisters erfuhr man in Andeutungen, die eben der gleiche Paul Dano (offenbar nicht nur schauspielerisch, sondern auch schriftstellerisch begabt) nun in einer pechschwarzen Graphic Novel – benannt in Anlehnung an Frank Millers legendärer Origin „Batman: Year One“ ausbreitet.
In seiner Vision erlitt der kleine Edward im Waisenhaus jahrelange seelische Pein – zum Gefühl, unwillkommen im Leben zu sein, gesellte sich eine einschneidende Enttäuschung: beim Besuch des Waisenhauses verspricht Thomas Wayne gönnerhaft eine bessere Zukunft und ermuntert Edward, sein Talent zu pflegen, um irgendwann vielleicht sogar bei Wayne Industries arbeiten zu können. Alle Bewerbungen beim Renewal Program kommen postwendend mit Ablehnung zurück, was Edward zutiefst kränkt – dass das Ganze nach der Ermordung von Thomas Wayne zur Front für das organisierte Verbrechen mutierte, diese Erkenntnis stürzt den erwachsenen Edward in eine massive Krise.
Edward zieht als Kind Parallelen zum ebenfalls verwaisten Bruce Wayne, nicht wissend, dass der von ihm so bewunderte Batman das Alter Ego des erwachsenen Bruce ist. Die ganze Handlung treibt schließlich auf den Moment hin, in dem Edward seine eigene Kunstfigur annimmt und seine ersten Taten vorbereitet – was dann den Auftakt zum Kinofilm darstellt, womit Dano den Kreis gekonnt schließt. Erzähltechnisch zieht Dano dabei alle Register, mit Zeitsprüngen und einem zutiefst unzuverlässigen Erzähler: wir erleben das Geschehen nur aus Edwards Sicht und müssen stets abwägen, was Wahrheit und Wahn ist.
Die optische Gestaltung spiegelt diese subjektive Erzählweise: ganz im Stile von Dave McKeans epochalem „Arkham Asylum“ arbeitet Zeichner Stevan Subic (u.a. „Conan der Cimmerier, Band 13“) mit alptraumhaften Panels, Collagen und visueller Integration von Medien wie Bildschirmen, Emails und hektisch beschrifteten Zetteln. Höhepunkt dieser Technik ist Teil 5, „Now I Know What I Have To Become”, der ausschließlich in optischer Spiegelung der Notizen des Riddlers einen finalen Absturz in die Psychose kraftvoll untermalt. Damit eine mehr als beeindruckende, tiefschwarze Mär, die den Weg einer armen Seele in den Abgrund schildert – und dabei ein mächtiges Prequel zum Kinoalptraum bietet, den Reeves servierte. Der vorliegende Band enthält die komplette Miniserie „Riddler: Year One“, die in sechs Einzelheften erschien. (hb)
Der Riddler – Das erste Jahr
Text & Story: Paul Dano
Bilder: Stevan Subic
220 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
25 Euro
ISBN: 978-3-7416-3527-4