Golden West (Splitter)

August 27, 2024
Golden West (Splitter Verlag), von Christian Rossi

Nach seinem beeindruckenden Ausflug in die griechische Legenden- und Sagenwelt nach Troja („Das Herz der Amazonen“) zieht es Zeichner und Autor Christian Rossi wieder in für ihn vertraute Western Gefilde, die er zuvor in jüngerer Zeit besuchte, mit seinen Kurz-Beiträgen zu den von Tiburce Oger verantworteten Anthologien „Go West Young Man“ und „Indians!“. Aber schon lange vorher gab Rossi dem Western Genre neue Impulse, beginnend mit seinem Vierteiler „Der Planwagen des Thespis“, der ab 1982 entstand, über „Jim Cutlass“ gemeinsam mit Jean Giraud und dem mit phantastischen Elementen garnierten „W.E.S.T.“ (wie Thespis im Piredda Verlag erhältlich) bis zu seinem Einzelband „Deadline“, 2014 erschienen, der ebenfalls bei Splitter im Programm ist.

Auch sein neuer Western ist wieder ungewöhnlich, zeigt er doch das Geschehen komplett aus der Sicht von Woan, einem Chiricahua Apachen. Und das von Kind an, wodurch wir quasi seinen kompletten Lebenslauf verfolgen. Die Weißen spielen in dem Band nur Nebenrollen. Woan lebt mit seinem Stamm in Mexiko, im Grenzgebiet zu den USA, stets bedroht von den Weißen, die immer mehr und immer rücksichtsloser in den Lebensraum der Apachen eindringen. Sein Leben nimmt schon früh eine dramatische Wendung: Nach einer von ihm verschuldeten Tragödie stirbt sein bester Freund, weshalb Woan von seinem Stamm ausgestoßen wird und fortan komplett auf sich allein gestellt ist. Eine Herausforderung, die er nicht nur klaglos annimmt, sondern auch meistert. Jahre der Einsamkeit vergehen, in denen Woan zum Mann heranwächst, immer wieder von Begegnungen durchzogen, sei es mit Ines, einer Mexikanerin, die von den Apachen „adoptiert“ wurde und die ihm einen Hund als Gefährten schenkt, oder mit Lozen, der Kriegerin, zu der er sich sogleich hingezogen fühlt. Dann trifft er Geronimo, mit dem er sprichwörtlich Pferde stehlen kann…

„Golden West“ erzählt keine homogene Geschichte. Und das voller Absicht. Vielmehr führt uns Christian Rossi schlaglichtartig durch wichtige Episoden aus Woans Leben, manche kürzer, andere ausführlicher, stellenweise mit plötzlichen und größeren Zeitsprüngen dazwischen. Wobei die historischen Figuren des Geronimo und der Lozen (die wir bereits aus „Indians!“ kennen) Fixpunkte im Leben Woans bleiben, auf die die Story immer wieder zurückkommt, die seinen Werdegang beeinflussen oder in andere, neue Bahnen lenken. Während Geronimo als Medizinmann bzw. Kriegsschamane hohes Ansehen bei seinem Volk genießt, was ihm voll und ganz bewusst ist – inkl. den ihm angedachten übersinnlichen Fähigkeiten –, wird Lozen zum ersten weiblichen Wesen, dem Woan zugetan ist.

Das bewegte Leben Woans steht als exemplarisches Indianerschicksal. Es ist gekennzeichnet durch den andauernden und immer aussichtsloser werdenden Kampf gegen die Weißen. Und damit auch ein existentieller Kampf gegen den Verlust der indianischen Kultur und Lebensweise. Freilich können anfangs immer wieder kleinere Erfolge verbucht werden, bis das Schicksal und damit die Historie ihren Lauf nimmt: die Apachen werden unter erbärmlichen Bedingungen in Reservate eingepfercht, jegliche Aufmüpfigkeiten, teils durch Spione im Keim erstickt und so deren die Kultur langsam ausgelöscht. Das Ausbrechen, die Flucht aus dem Reservat und damit die versuchte Rückkehr zum alten Leben, werden gnadenlos verfolgt und letztlich blutig unterbunden.

Am Ende müssen Woan und sein Volk kapitulieren, im kriegerischen wie im kulturellen Sinne. Den Schluss des Bandes, der wieder Jahre später spielt, präsentiert Rossi so originell wie vielleicht auch versöhnlich: Der alte, reale Westen kollidiert mit dem Neuen made in Hollywood. Welcher Typus sich letztlich durchsetzte, ist bekannt. Nach „Hoka Hey!“ und (mit Abstrichen) „Hacendado“ präsentiert Splitter mit „Golden West“ den nächsten herausragenden Western-Einzelband. Das Golden im Titel mag ironisch klingen, man mag es weniger auf die indigene Bevölkerung als auf die Eroberung des Westens durch die Weißen beziehen. Golden ist hier auf jeden Fall das Setting, die Farben der Landschaften im Grenzgebiet in der Sierra zwischen den USA und Mexiko (nebenbei auch der Schauplatz von „Hacendado“), womit wir zu den Zeichnungen kommen. Die zeugen einmal mehr von großer Kunstfertigkeit, in einem von Jijé und Giraud begründetem franko-belgischen Western Stil, jedoch konsequent fortgeführt und individualisiert, indem Rossi die klassische Tusche zurücknimmt und statt dessen auf Farbverläufe setzt, was die Panels noch realistischer und atmosphärischer erscheinen lässt. All das macht den Band uneingeschränkt empfehlenswert. (bw)

Golden West
Text & Bilder: Christian Rossi
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
39,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-422-6

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