Jahrmarkt in Mechanika City: die bionische Lady schlendert gemächlich mit ihrem Schützling Fred über das Gelände, auf dem allerlei Absonderlichkeiten dargeboten werden. Alsbald gesellt sich der alte Weggefährte Dr. Littleton zu ihr, der ihr sein Leid klagt: er leidet stark darunter, dass er auf die Vasallen des fiesen Blackpool hereingefallen war und für sie gearbeitet hat, weil er den falschen Leuten traute. Das, so tröstet ihn Mechanika, passiert aber wohl auch den Besten, also in anderen Worten ihr – und erstmals beginnt sie, ihre Geschichte zu erzählen. Die beginnt, als ein völlig verschrecktes Wesen in das „Ministerium der Gesundheit“ eingeliefert wird: ein irrer Mörder hielt sie mutmaßlich gefangen, Arme und Beine wurden gewaltsam durch mechanische Prothesen ersetzt. Das Mädchen ist offenbar stumm, was die sauberen Herrschaften des Ministeriums nicht davon abhält, sie unter dem Deckmantel der Wissenschaft nach allen Regeln der finsteren Kunst zu malträtieren.
Besonders hervor tut sich dabei der maskierte Diakon Grindlethorn, genannt Diakon Grin, der mit allerlei Quälereien von Operationen bis Elektroschocks versucht, dem Mädchen das Geheimnis ihrer mechanischen Gliedmaßen zu entreißen. Eines Nachts schleicht sich die kleine Katherine, genannt Kat, in ihre Zelle, schenkt ihr einen Apfel und sagt, sie solle den Widerstand aufgeben, so komme sie heraus aus der Einzelhaft hin in das gemeinschaftliche Wohnheim. Das gelingt tatsächlich, das Mädchen, fortan von Kat einfach „Evie“ genannt, darf ins Mädchenwohnheim einziehen, wo sie gemeinsam mit einer ganzen Gruppe von entstellten, deformierten oder schlichtweg mutierten Kindern wohnt. Dort regiert die sadistische Ms. Cavendish mit eiserner Hand, die kleinste Verfehlung wird drakonisch geahndet – aber die Kinder leben alle in der Hoffnung, dass Diakon Grin sie eines Tages heilt. Kat agiert dabei nach außen freundlich, nach innen manisch und will alles und jeden kontrollieren.
Immer wieder verschwinden Mädchen spurlos, und eines Tages hören Kat und Evie mit, dass die Anstaltsleitung für die Reichen und Gelangweilten von Mechanika City monströse Darbietungen arrangiert, bei denen sich das Publikum wohlig gruselt und besonders furchterregende Insassen sogar käuflich erwerben kann. Spätestens dann steht fest: Kat und Evie wollen fliehen, zumal Evie an das Ministerium für Metaphysik verkauft werden soll, in dem Blackpool regiert. Beim Fluchtversuch kommt es allerdings zur Katastrophe: Evie stolpert in eine Asservatenkammer, in der in einer Art grausigem Kabinett die Köpfe aller verschwundenen Insassen aufbewahrt werden. Diakon Grin überrascht Evie, die außer sich ihre ganze mechanische Kraft auf den vermeintlichen Peiniger entlädt und ihn erschlägt. Kat rettet sie in letzter Sekunde, und so scheint der Gerechtigkeit Genüge getan – aber der Schein trügt oft, das muss die erwachsene Mechanika bitter erfahren, als Littleton ihr berichtet, dass Diakon Grin sich offenbar bester Gesundheit erfreut und in Mechanika City weiter praktiziert…
Die Herkunft der bionischen Lady, ihre Leidensgeschichte und ihr bitter enttäuschtes Vertrauen in Katherine Winter, diese Themen durchziehen die Reihe von Joe Benitez seit Band 1, als Mechanika erstmals auf den Plan trat und sich an die Vergangenheit nicht erinnern konnte. Komplett aufgelöst wird dieses Verwirrspiel auch hier nicht, immerhin bleibt weiterhin ungeklärt, wer ursprünglich verantwortlich ist für die mechanische Aufrüstung der schlagkräftigen Dame. Auch die Steampunk-Elemente, in denen sich H.G. Wells und Jules Verne in Mechanika City die Klinke mit der Roboter-Maria aus Metropolis in die Hand geben, treten dieses Mal zurück gegenüber handfestem Horror. Die Sequenzen im bitter ironisch betitelten Ministerium für Gesundheit (noch zynischer benannt sind nur noch die Ministerien in George Orwells 1984, wo das Ministerium für Wahrheit für die systematische Geschichtsfälschung zuständig ist) bieten wie ein übersteigertes Arkham Asylum einen alptraumhaften Reigen der Grausamkeiten, der in sämtlichen Irrenanstalt-Gruselausritten des Kinos nicht heftiger entfaltet werden könnte.
Diakon Grin gemahnt dabei mehr als einmal an die einschlägigen Sadisten, die in Nazi-KZs ihre inhumanen Experimente durchführten, nur um dann – Spoiler Alert! – als eigentlicher Helfer im Reigen der Schurken enthüllt zu werden. Die grausamen Ausstellungen, die die Ministeriumsleitung für die dekadenten Bürger von Mechanika City veranstalten, spiegeln sich in der Freakshow, die Mechanika und Littleton auf dem Jahrmarkt besuchen – Todd Brownings Skandalfilm „Freaks“ und auch David Lynchs „Elephant Man“ lugen hier mehr als deutlich um die Ecke (wobei sich die Freaks gegen Mechanikas „Hilfe“ vehement wehren, ein durchaus ironischer Twist in der Rahmenhandlung).
Somit dieses Mal also weniger Mystik, Detektiv-Story, Batman, Erotik und Lara Croft-Exotik, sondern handfeste Horrorkost, die allerdings psychologisch aufgeladen ist: immerhin erkennt Mechanika, dass sie nicht nur den falschen Leuten getraut (Katherine Winter ist immer noch hinter ihr her), sondern sogar auch einen Mord aus fehlgeleiteten Motiven heraus begangen hat. Optisch faszinierend-bizarr und mitunter durchaus verstörend – so düster und erschreckend waren die Mechanika-Geschichten noch nie. Wir hoffen auf einen kleinen Lichtblick in der nächsten Episode. (hb)
Lady Mechanika, Band 8: Das Monster aus dem
Ministerium für Grausamkeit
Text & Story: Joe Benitez, Marcia Chen
Bilder: Joe Benitez, Martin Montiel, Beth Sotelo
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
25 Euro
ISBN: 978-3-96219-529-8