Cyborgs sind cool. Entweder sie sind bei der Gerechtigkeitsliga, oder sie sehen aus wie ein US-Gouverneur aus Österreich, der uns versichert, dass er gleich wiederkommt. Beides gilt nicht für Lady Mechanika: das ist nämlich eine feine Dame im Tüllrock, die das England des ausgehenden 19. Jahrhunderts durchstreift. Ausgerüstet mit allerlei mechanischen Gliedmaßen (daher eben Cyborg, cybernetic organism), legt sie sich immer dann auf die Lauer, wenn die Schmierblätter von mysteriösen Vorgängen berichten. Irgendwann, so erhofft sie sich, wird sie ein Wesen finden, das ihr vielleicht einen Hinweis darauf geben kann, wer zum Teufel ihr das angetan hat. Sie scheint am Ziel, als sie ein angebliches kinderfressendes Monster stellt, das sich ebenso als halbmechanische Kreatur entpuppt. Aber kaum kann ihr das Geschöpft namens Ucky eröffnen, dass es die Lady in der Tat kennt, wird es gnadenlos abgeknallt – von den Schergen des finsteren Lord Blackpool, seines Zeichens Chef des führenden Rüstungskonzerns Blackpool Armaments, der diese formidable Technik doch gerne für seine nächsten Waffengeneration hätte und deshalb auch gleich die Lady verschleppen will. Das bekommt ihm weniger gut, er verliert Kiefer und Bein.
Ein Jahr später: in der fantastischen Zukunftsstadt Mechanika City – Heimat aller Erfinder und Tüftler, beherrscht von Lord Blackpool, Ausrichtungsort der alljährlichen Wissenschaftsmesse Mechani-Con – taucht ein mysteriöses, halbmechanisches junges Mädchen auf. Der Arzt Lord Littleton (ehemals Mitarbeiter von Blackpool), der die Holde vergeblich versucht zu retten, erhält bald Besuch von Lady Mechanika, die erneut ihre Chance sieht, ihre dubiose Herkunft aufzuklären. Damit ist sie jedoch nicht allein: die Leiche, die eilig ins „Ministerium für Gesundheit“ geschafft wurde, erregt offenbar auch das Interesse von Blackpool, der seine Handlangerin Lady Katherine de Winter auf die Fährte schickt. In den Gewölben des Ministeriums kommt es dann gleich mehrfach zum Showdown: Mechanika findet zwar das junge Mädchen, aber eine geheimnisvolle Gestalt fegt ihr die Leiche geradezu aus der Hand. Und dann treffen die beiden Damen aufeinander, die offenbar eine lange Historie verbindet, da Mechanika wohl in den Forschungseinrichtungen des Ministeriums gequält worden war, wobei „Commander“ de Winter eine Schlüsselrolle spielte. Mechanika obsiegt in der Konfrontation und nimmt mit ihrem versoffenen, aber genialen Erfinderfreund Lewis weitere Ermittlungen vor. Die führen sie mitten die bunte Welt des Cirque du Romani, wo sich tatsächlich die Identität des Mädchens (Seraphina) und ihres mysteriösen Entführers (ein irrer Wissenschaftler namens Cain, vor dem selbst Blackpool Mores hat) enthüllt. Auf der Eröffnungsfeier der Mechani-Con schließlich laufen die Fäden endgültig zusammen…
Joe Benitez stammt aus dem ehemaligen Top Cow-Rennstall, in dem die Schule eines Jim Lee Ende der 90er ihre visuellen Feuerwerke abbrannte. Nachdem er mit „Soulfire“ die letzte Serie seines viel zu früh verstorbenen Weggefährten Michael Turner beendet hatte, schwankte er zwischen einigen Projekten – sollte es eine intergalaktische Kopfgeldjäger-Serie sein, oder doch etwas anderes? Das bunte Cosplay-Treiben auf diversen Festivals, wie etwa dem Dragon Con in Atlanta 2009, ließ das Pendel dann in die Richtung ausschlagen, die wir hier erleben können: ein astreines Steampunk-Spektakel, das sich gewaschen hat. Standesgemäß kommt das Design hier daher, als ob Jules Verne mal einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen hätte: die spätviktorianische Epoche steht am Rande der technischen Revolution, der Himmel wimmelt nur so von Luftschiffen, Mechanika City ist eine Skyline voller Wolkenkratzer inklusive dampfbetriebenen Aufzügen (Vernes Stahlstadt aus den „500 Millionen der Begum“ lässt grüßen), die Protagonisten nutzen allerlei moderne Schusswaffen und Kommunikationsmittel (die aber gerne auch mal den Geist aufgeben und nur unzulänglich funktionieren), und die Rüstungsindustrie verfolgt unverhohlen die Vermischung von Mensch und Maschine hin zur ultimativen Superwaffe.
In diesem Setting entwickelt Benitez eine Detektiv-Story, die genauso viel Züge von Arthur Conan Doyle wie von CSI aufweist, als sich die Lady und ihr Gehilfe als akribische Spurensucher verdingen. Neben Querschlägern auf die zeitgenössische Unterhaltungsindustrie – aus dem Personal des Cirque du Romani hätte sich Tod Browning weidlich für seine schaurige Schaubuden-Mär „Freaks“ bedienen können – reiht Benitez genüssliche Verweise auf die Nerd-Feste der Conventions: auf der Mechani-Con kann jeder Tüftler seine neuesten Errungenschaften vorstellen und ausprobieren. Dabei schadet auch nicht, dass die Lady herself durchaus ansehnlich daherkommt, was beim Werdegang des Schöpfers kaum verwundert: hier stehen alle starken Abenteuerfrauen der 90er, von Lara Croft bis hin zu Witchblade, Pate. Dazu mischt sich neben einigen Horror-Einsprengseln noch eine gehörige Prise Humor, vor allem in der Gestalt von Lewis, der gerne mal Dinge falsch versteht und sich etwa bei der Ankündigung des Wunderwerks „Helio Arx“ verwundert zeigt, dass man nun einen gigantischen Arsch bestaunen solle. Das kann nur interessant sein. Rasant, visuell berauschend, mit großer Geste inszeniert – Band 2 kommt hoffentlich in Bälde. (hb)
Lady Mechanika, Band 1: Das Geheimnis der mechanischen Leiche
Text & Bilder: Joe Benitez
112 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-520-6