Adam Zinguleski – nicht nur ein Berg von Mann, sondern auch ein verdienter und berühmter Maler im Warschau des Jahres 1922. Mit einem entscheidenden Problem, das ihn jetzt schon einige Jahre plagt: es fehlt ihm an Inspiration, er bringt keinen Pinselstrich mehr auf die Leinwand, der ihn zufrieden stellt. Seine viel jüngere Frau Eliza steht ihm zwar Modell, aber nicht einmal ihr zeigt der einflussreiche Künstler seine aktuellen, für ihn unzureichenden Werke. Dann ist da noch Fryderyk, ein ambitionierter Maler. Behaftet mit einer gewissen Lebensmüdigkeit: Voller Todesverachtung ficht er ständig archaisch anmutende Pistolenduelle aus, fordert nicht nur damit sein Glück heraus und geht auch sonst keiner Gefahr aus dem Weg. In Eliza, die er zufällig trifft, erkennt er die Frau aus seinen Träumen, nähert sich ihr an und wird schließlich eine Art Freund der Familie, was natürlich auf Dauer nicht gut gehen kann…
Ein Drama vor einem hierzulande nicht gerade gängigen politischen Hintergrund, mit drei Protagonisten. Einmal der berühmte Maler. Adam wird von seinem Galeristen bedrängt, endlich neue Werke zu zeigen. Aber er steckt in einer massiven Schaffenskrise – auch zum Leidwesen seiner jungen Frau, die seine Launen ertragen muss – und hält sich mit Malunterricht über Wasser. Er erkennt in Fryderyk zwar einen Rivalen, erhofft sich durch ihn aber endlich neue Inspiration. Eliza, die ebenfalls ein künstlerisches Talent besitzt, das sie jedoch im Verborgenen ausübt, belastet die Krise ihres Mannes immer mehr. Sie wagt es jedoch nicht, Adam zugunsten von Fryderyk aufzugeben, der ihr mal mehr, mal weniger offen den Hof macht. Dann schließlich Fryderyk. Dass er ein begnadeter Maler zu sein scheint, gerät angesichts seiner lebensmüden Eskapaden fast zur Nebensache. Nur Adam erkennt sein Talent und will ihn fortan um sich haben.
Dann sind da noch wichtige Nebenfiguren: Fryderyks Bruder Jozef. Ein Priester mit eigener Kirche, der heimlich eine Geliebte hat und der daher mit seiner Bestimmung hadert. Seine Kirche ist gleichzeitig Rückzugsort für Fryderyk. Und Mikolaj, Fryderyks guter Freund, der ebenfalls zufällig Eliza begegnet und sich auch in die attraktive Frau verliebt. Mikolaj ist politisch umtriebig, was uns zu dem historischen Hintergrund führt, vor dem die Handlung spielt, die sich als umgekehrte Dreiecksgeschichte lange Zeit nicht so richtig entwickeln will. 1922 ist Polen ein teilweise künstlich geschaffener Vielvölker- und Vielreligionenstaat, geprägt von stark nationalistischen Tendenzen, sowie von Fremden- und Judenhass. Was eine höchst explosive wie instabile politische Lage erzeugt, die immer wieder die Handlung und deren Personen, die zudem innerlich immer mehr zerrissen sind, auch entscheidend beeinflusst.
Den ursprünglichen Dreiteiler – im Original „Le Maitre de Painture“ (Der Meister der Malerei) betitelt und hier freier und poetischer „übersetzt“ – bringt Comicplus als Gesamtausgabe und als Comicroman benannt, wie zuvor schon „Fox“. Die Reihe erschien zwischen 2003 und 2005 bei Glénat und wurde geschrieben von Geschichtsexperten Frédéric Richaud und von Makyo (d.i. Pierre Fournier), der schon in der Achtzigern mit „Die Reise ans Ende der Welt“ und „Grimion Lederhandschuh“ von sich reden machte. Zeichner ist Michel Faure, von dem bei Comicplus bereits „Samsara“, ebenfalls in gesammelter Fassung, vorliegt. Und im Gegensatz zu „Samsara“, das nach „Die Flügel der Kunst“ erschien, zeichnet Faure hier konventionell mit Tusche, er malt also nicht (bis auf die abgebildeten Gemälde), was seinen Stil dem von Manara, dem frühen Bilal oder Giardino ähnelt lässt. Ein Blick auf die literarischen Vorbilder der Story (immerhin von Honoré de Balzac und Émile Zola) und ein geschichtlicher Überblick runden den Band ab. (bw)
Die Flügel der Kunst
Text & Story: Makyo, Frédéric Richaud
Bilder: Michel Faure
160 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Sackmann und Hörndl
44 Euro
ISBN: 978-3-89474-324-6