Weltstar, Film- und Stilikone. Seltene Attribute für Deutsche. Bei Marlene Dietrich passen sie, bis heute. Mit „Der blaue Engel“ schlagartig berühmt geworden, ging die Schauspielerin und Sängerin gleich danach mit dem Regisseur Josef von Sternberg nach Hollywood, um dort eine steile Weltkarriere zu starten. Bald stellte sie sich gegen die Nazis, wurde amerikanische Staatsbürgerin und unterstützte die US-Truppen, was ihr nach dem Krieg in Deutschland verübelt wurde. Nachdem Ende letzten Jahres ihr 120. Geburtstag war, erscheint nun bei Panini der erste Band einer zweiteiligen Comic-Biographie (nach einer weiteren, die 2021 bei Knesebeck erschien), geschrieben von Disney und Star Wars Autor Alessandro Ferrari und gezeichnet von der in Berlin lebenden Künstlerin Flavia Scuderi, die auch schon für Disney tätig war und bereits eine Graphic Novel über Richard Wagner zeichnete (ebenfalls bei Knesebeck).
Der erste Band setzt ein bei der verheerenden Schlacht um Monte Cassino im Mai 1944, wo Lili Marleen – der erste Welthit – aus den Lautsprechern von Feind und Freund tönt, auf Englisch gesungen von Marlene Dietrich. Dann folgt ein Schnitt in ihre Kindheit, als lebensfrohes Mädchen in Berlin, das den Stummfilmstar Henny Porten bewundert und das Geigerin werden will. Nach einem kurzen, letztlich gescheiterten Engagement im UFA-Orchester (das Stummfilme musikalisch begleitete) beschließt sie Schauspielerin zu werden. Neben Auftritten als Tänzerin in Varietés ergattert sie erste Theater- und Filmrollen – anfangs als Statistin. Bald folgen größere Parts, auch Hauptrollen, wie erstmals in Café Elektric (1927). Marlene ist inzwischen verheiratet und hat eine Tochter. Dann bietet ihr ein gewisser Josef von Sternberg Probeaufnahmen für die Hauptrolle zu seinem neuen Film an, den er für die UFA drehen wird…
Ferrari und Scuderi schildern das Leben Marlene Dietrichs nicht ausschließlich chronologisch, sondern streuen immer wieder Zeitsprünge ein, was für Abwechslung sorgt, wie gleich zu Beginn der erste Auftritt bei Monte Cassino. Das wilde Berlin der verruchten Goldenen Zwanziger, jüngst durch Babylon Berlin wieder populär geworden, ist ebenfalls fester Bestandteil. Ungezügelte Lebensfreude, sexuelle Freiheiten (Marlene ist beiden Geschlechtern zugetan und führt bald mit ihrem Mann eine offene Ehe) und das Streben nach Glück und Erfolg prägen den Aufstieg des kommenden Weltstars. Dabei bleiben Ferrari und Scuderi bei den Tatsachen und verfolgen nicht die Legende, die die Dietrich später verbreitet, sie sei aus dem Nichts zum Star geworden – denn mindestens 17 Stummfilmauftritte vor dem blauen Engel, darunter auch diverse Hauptrollen, sind belegt. Sie war also kein unbeschriebenes Blatt mehr, wenn auch noch nicht in der ersten Schauspielgarde angelangt.
Flavia Scuderi gestaltet ihre Panels in einem eleganten runden Strich, auch gerne in ganzseitigen Kompositionen, und in Braun- und Sepia-Tönen, wie man eben diese kurze Ära heute in erster Linie aus Filmen und von Fotografien kennt. Zahlreiche Figuren aus längst vergangenen (Film-) Zeiten haben dabei ihre Auftritte – Marlene begegnet und verkehrt mit prominenten Künstlern und Filmschaffenden, vom Filmkomponist und Schauspieler Giuseppe Becce, Henny Porten, Louise Brooks bis zu Billy Wilder (auch hier in einem passend eingestreuten Zeitsprung, der mit der berühmten Szene aus „Zeugin der Anklage“ endet). Der zweite und letzte Band wird dann ihren Werdegang in Hollywood schildern – und wohl darüber hinaus. Somit bietet der Band für alle, denen Marlene Dietrich allenfalls als singende Lola Lola (siehe Cover) oder der nach ihr benannten Hose ein Begriff ist, eine unterhaltsame und optisch ansprechende Gelegenheit, mehr über die Leinwandlegende zu erfahren. (bw)
Marlene Dietrich, Band 1
Text: Alessandro Ferrari
Bilder: Flavia Scuderi
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
17 Euro
ISBN: 978-3-7416-2438-4
