Bekanntlich sieht man sich ja immer (mindestens) zweimal im Leben. Die Erfahrung macht auch Bond, als er in Singapur einen Schmuggler stellen soll, der einen Koffer mit offenbar heißer Fracht an die internationale Terrortruppe Oru verhökern will. Das nämlich will auch ein schlagkräftiger Herr, der sich als „Mr. Lee“ vorstellt und Bond ordentlich verprügelt. Dank einer Aufzeichnung per Sonar-Rekorder kann man zu Hause im Hauptquartier die Kampftechnik analysieren, mit der Bond da das Fell über die Ohren gezogen wurde, und stellt erstaunt fest: die Moves kennt man doch irgendwo her. Genauer gesagt von einem Kontrahenten, mit dem es Bond schon einmal vor 30 Jahren zu tun hatte: Mr. Lee setzt die Methoden ein, die schon auch Goldfingers Helfershelfer Oddjob an den Tag legte, inklusive übermenschlicher Kraft, asiatischer Technik und messerscharfem Rand des wurffähigen Huts.
Beim nächsten Zusammentreffen in Indonesien warnt dieser dubiose Mr. Lee unseren Held: der Kofferträger schleppt eine Bombe mit sich herum, die hochgeht, sobald der Koffer von seinem Besitzer getrennt wird. Während Bond und Lee sich weiter kappeln, arrangiert sein Boss M mit seinem Kollegen Mr. Park vom südkoreanischen Geheimdienst Blue House einen Deal: man solle doch am besten gemeinsam verhindern, dass die Terrororganisation den Koffer in die Finger bekommt. Dank Tracker lokalisiert Bond die Beute im australischen Outback, wo ihm allerdings eine Oru-Agentin namens K einen Strich durch die Rechnung macht und sich den russischen Kofferkurier schnappt, den sie dann mit Hilfe des Technikers Dr. Andropolis vom Besitzer löst, worauf Bond und Lee endlich erfolgreich zuschlagen.
Moneypenny, die die Streithähne Bond und Lee zur Ordnung ruft, klärt schließlich auf: der Koffer ist voller Gold nebst einer unbezahlbaren Statue des Goldenen Drachen von Goryeo, die 1121 im Auftrag des Kaisers von China gefertigt wurde. Während Bond ein bisschen Zeit in den Zellen des asiatischen Geheimdiensts verbringen darf, offenbart Mr Lee seine ganz eigene Agenda: ihm geht es vielmehr um die Oru-Agentin, die er als Aria aus alten Tagen kennt und aus den gehirngewaschenen Fängen der Orus befreien will…
Neben den obligatorischen Schurken vom Schlage eines Blofeld, Stromberg oder Dr. No gehört seit jeher zu jedem Bond-Abenteuer auch ein ordentlicher „henchman“, ein Helfershelfer, der seinem Chef treulich dient. Manch einer schafft es dabei sogar zu mehreren Auftritten, so etwa „Jaws“ (im Deutschen launig als „Beißer“ bezeichnet), der nach seinem Eingreifen in „The Spy Who Loved Me“ für „Moonraker“ als unerwarteter Retter Bonds zurückkehrte. Was für den Mann mit dem goldenen Colt Scaramanga sein Koch, Butler und Kampfpartner Nick Nack war, das bot schon 1959 in Ian Flemings Roman Goldfinger die Figur des Oddjob – von seinem Chef benannt nach dem Sammelsurium an Aufgaben, von Chauffeur über Butler bis hin zum gewalttätigen Bodyguard, der seine Gegner per Kampfsport, Bogenschießen oder natürlich tödlichem Bowlerhat das Fürchten lehrt.
Spätestens durch die Verfilmung von 1964 avancierte Oddjob – dargestellt als Koreaner von Harold Sakata, der sogar Goldfingers Golfcaddy fahren durfte – zu einem der populärsten Charakter des Bond-Universums, das Greg Pak nun für seine Reihe „James Bond Stories“, die neben den direkten Romanadaptionen der „James Bond Classics“ und den „Origins“ weitere eigenständige Geschichten bietet, um einen Handlungsbogen rund um den Schatten von Oddjob erweitert. In diesem ersten Teil bleibt noch offen, inwiefern der geheimnisvolle neue Widersacher in Verbindung zu seinem großen Vorbild steht, wobei Pak ohnehin diverse Elemente mischt: nicht umsonst nennt sich der asiatische Kämpfer Mr. Lee, und auch ein Duell am Strand ruft direkt eine zentrale Szene aus dem (eher schwachen) Bond-Film um den Mann mit dem goldenen Colt, dargestellt von Christopher Lee, auf.
Nicht fehlen darf natürlich der tödliche Bowlerhat sowie die schlagkräftige Art des Oddjob-Schülers, die im Zusammenspiel mit seiner alten Freundin Agentin K gerne auch wirkt wie die englischen Agenten-Kollegen John Steed und Emma Peel. Dass ganz am Ende dieses ersten Teils dann noch eine andere zentrale Figur der Bond-Geschichte als Drahtzieher auftaucht, kann nicht ganz überraschen (schwere Frage: wer könnte an einer Gold-Statue interessiert sein?). Die Inszenierung durch Marc Laming und Stephen Mooney (Agentenveteran, allseits beliebt u.a. durch „Half Past Danger“) überzeugt durchweg durch schmissige, actionreiche Szenen, die sich zu einem flotten Lesevergnügen zusammenfügen. Bei Splitter erscheint der erste Teil der Reihe hübsch aufgemacht mit einer Cover-Galerie. Für Sammler gibt’s wie immer eine limitierte Variant-Edition mit zusätzlichem Bonusmaterial. Und wer gar nicht genug von Herrn Auric bekommen kann, kann sich schon auf die im Februar 2022 erscheinende Fortsetzung freuen – die dann auf den Namen „Goldfinger“ hören wird. (hb)
James Bond Stories, Band 1: Oddjob
Text: Greg Pak
Bilder: Marc Laming, Stephen Mooney
152/176 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
24 Euro (reguläre Edition)
35 Euro (limitierte Edition, 400 Exemplare)
ISBN: 978-3-96219-352-2 (reguläre Edition)
ISBN: 978-3-96219-353-9 (limitierte Edition)