Die Schrift des Windes (Carlsen)

Mai 28, 2020
Die Schrift des Windes (Carlsen Verlag)

Japan im Jahr 1649, noch zu Beginn des Edo-Zeitalters (1603 bis 1868), als die Tokugawa-Shogune über das Land herrschen, es vom Westen fast gänzlich abschotten und ihm gleichzeitig eine lange Zeit des Friedens bescheren sollten. Zumindest offiziell. Denn gerade zieht Unheil auf, als ein Unbekannter die Geheimdokumente des Yagyu-Clans stiehlt. Die Yagyu sind traditionell die Schwertkampflehrer der Shogune und unterhalten in deren Auftrag einen Geheimdienst, der die Ordnung im Land garantiert und der eventuelle Widersacher ohne viel Aufheben aus dem Weg räumt. Auch obliegt es ihnen, den Kaiser zu bewachen, der offiziell entmachtet ist, der aber noch immer in Kyoto, der alten Hauptstadt, residiert. Und auf eben jenen emeritierten Kaiser Gominoo fällt der Verdacht, den Diebstahl der mächtigen Geheimdokumente in Auftrag gegeben zu haben, denn Gominoo soll regelrecht besessen sein von dem Gedanken, wieder Alleinherrscher des Landes zu werden.

Jubei, der bekannteste und beste Schwertkämpfer der Yagyu, wird von seinem Vater beauftragt, die Dokumente wieder zu beschaffen und den Dieb zu töten. Alles im Verborgenen, versteht sich. In Kyoto kommt Jubei schon bald den geheimen Mitteln und Wegen auf die Schliche, wie der Kaiser seine Botschaften aus den Palastmauern hinaus schmuggelt. Mehr noch: Jubei und sein jüngerer Halbbruder Rokumaru entdecken, dass eine Rebellion gegen das Shogunat zu entstehen droht, indem sich unter dem Dach des Kaisers die Gegner und alten Feinde der Shogune vereinen. Als dem Kaiser schließlich unerkannt die Flucht aus seiner bewachten Residenz gelingt, verschärft sich die Lage. Erst im Winter wird der Aufenthaltsort Gominoos in einer abgeschiedenen Bergregion entdeckt und es kommt zum offenen Kampf, in dem Jubei und sein Erzfeind Yashamaro, der für den Kaiser kämpft, wichtige und entscheidende Rollen spielen…

Erzählt wird diese (fiktive) historische Episode im Jahr 1898 von Katsu Kaishu, einem alten angesehenen Mann, der daraus Lehren für das Land in der Gegenwart und in der Zukunft zieht (Stichwort Zweiter Weltkrieg und Kaisertreue). Der 2017 verstorbene Jiro Taniguchi setzt den Band nach einem Skript von Autor Kan Furuyama als intensive und akkurate Geschichtsstunde in Szene, so dauert es etwas, bis man mit der politischen Situation und den Namen vertraut ist (Leser von Usagi Yojimbo – die Serie spielt auch in der Edo-Zeit – tun sich da leichter, siehe den Band mit den Throninsignien, die auch hier eine kleine Rolle spielen). Jubei, ein Meister der Schwertkunst, ist der stoische, unaufgeregte Held, der seinen Auftrag eisern verfolgt, ohne dabei Respekt und Ehre von Freund und Feind zu vernachlässigen.

Trotz aller brachialer Action gilt dies natürlich auch für die zahlreichen Duelle, in denen die in Stein gemeißelten Traditionen und Regeln des Schwertkampfs stets eingehalten werden (Schwerthaltung und Kampfstil verraten oft die Herkunft des Kämpfers). Man metzelt ehrenvoll – auch als gegnerische Übermacht lässt man sich gerne einer nach dem anderen von Jubei niedermachen. Der 1992 entstandene Band stellt einmal mehr die Vielseitigkeit Taniguchis unter Beweis, der neben den ruhigen, fließenden Geschichten („Der spazierende Mann“, „Vertraute Fremde“, „Der Kartograph“) sich auch ohne Berührungsängste zu zeigen anderen Genres annahm (wie das Science Fiction Epos „Ikarus“, gemeinsam mit Moebius). Hier wechseln sich ungeheuer filigran gezeichnete Stadt/Dorf- und Landschafts-Ansichten mit furios inszenierten Kampfszenen ab, die im typischen Manga-Stil daherkommen und sich gerne über mehrere Seiten erstrecken. (bw)

Die Schrift des Windes – Yagyu Jubei
Text: Kan Furuyama
Bilder: Jiro Taniguchi
248 Seiten in Schwarz-Weiß, mit Farbseiten, Softcover
Carlsen Verlag
16 Euro

ISBN: 978-3-551-76919-0

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