Prag im Jahr 1969. Jonas Fink, inzwischen 29 Jahre alt, hat die Buchhandlung von Herrn Pinkel, der damals verbotene Literatur illegal in Umlauf brachte, übernommen. Jonas ist mit der vietnamesischen Ärztin Fuong Trinh zusammen. Mit seinen Freunden, den Intellektuellen aus der Gruppe Odradek, pflegt er noch immer regen Kontakt: Alena arbeitet bei Radio Prag, Zdenek ist Theater-Regisseur, Jiri wurde Arzt. Jonas‘ Vater ist in der Haft gestorben, seine Mutter ist geistig verwirrt und lebt inzwischen in einem Sanatorium. Das politische Tauwetter, das im Prager Frühling seinen Höhepunkt und gleichzeitig sein Ende finden wird, bringt die CSSR auf die Weltbühne. Vor allem Staatschefs des Warschauer Pakts besuchen das Land, dessen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in Moskau argwöhnisch beäugt wird. Unter den zahlreichen Journalisten, die aus Prag berichten, ist auch Tatjana, Jonas‘ russische Jugendliebe, die inzwischen für die Iswestija schreibt.
Aufgrund der Inhaftierung seines Vaters, der als politischer Dissident verurteilt wurde, durfte Tatjana damals keinen Kontakt mehr mit Jonas haben. Nun treffen sie sich wieder – mit gemischten Gefühlen, schließlich hat man sich über zwölf Jahre nicht gesehen. Vor allem Jonas, der mit Fuong eigentlich glücklich ist, zögert. Dennoch kommen sich die beiden wieder näher, schneller als Jonas lieb ist. Derweil formieren sich die alten kommunistischen Seilschaften neu. Den Moskau-treuen Gegenkräften um Kommissar Cesma und Inspektor Muda ist das Treiben der Intellektuellen und der moderaten politischen Führung, das bis zur Aufhebung der Zensur geht, nicht geheuer. „Zum Wohle des Sozialismus“ beschatten und bespitzeln sie wie zu Stalins besten Zeiten. Dann rollen plötzlich russische Panzer durch Prag. Die Bevölkerung verhält sich weitgehend friedlich im passiven Protest, die tschechische Armee bleibt in den Kasernen. Cesma muss dringend der Weltöffentlichkeit und Moskau für die angebliche Abwehr einer drohenden Konterrevolution Sündenböcke präsentieren. Und besinnt sich auf die damalige Gruppe Odradek…
Nach über 20 Jahren und drei ersten Bänden, die das Leben des jungen Jonas Fink bis zum 17-jährigen Teenager in den Zeiten des Kommunismus in Prag beleuchten (1997/98 erstmals bei Carlsen veröffentlicht), legt der Italiener Vittorio Giardino („Max Friedman“, „Sam Pezzo“) nun den abschließenden Teil der Reihe vor. Und was für einen! In ganzen 161 Comicseiten erfahren wir nun endlich, wie es Jonas als Erwachsener ergangen ist, vor dem politischen Hintergrund der einschneidenden Ereignisse des Prager Frühlings. Denn wie schon in den ersten beiden Bänden wiegt Politik schwer in der Geschichte. Waren es dort die Inhaftierung des Vaters, verbunden mit etlichen Schikanen, scheint sich nun das Blatt zu wenden: ein Hauch von Freiheit durchweht das kommunistische Land, wie auch die Gesellschaft. Man wird mutiger, offener. Was wieder die Altkommunisten auf den Plan ruft, die ihre Felle schon davonschwimmen sahen und nun Morgenluft wittern. Dann stehen überall russische Panzer und Soldaten im Land. Die alte Ordnung soll und muss wieder hergestellt werden.
Neben dem politischen Schauplatz steht Jonas im Zentrum der Geschichte. Er ist weder strahlender Held noch Saubermann: als seine Verhaftung droht, trifft er eine folgenschwere Entscheidung und verlässt das Land, nachdem Tatjana wieder kurz und heftig in sein Leben getreten und nun wieder für ihn unerreichbar geworden ist. Seine kranke Mutter bleibt zurück. Wie seine Freunde, wie auch Fuong. Eine Flucht in das Seelenheil, um dem Schicksal seines Vaters zu entgehen. Ein harter Schnitt, um endlich ein freies Leben führen zu können, wenn auch verbunden mit einem hohen Preis. Im letzten Teil macht die Geschichte einen Sprung in das Jahr 1990. Erneut erfährt der Osten Europas politische Umwälzungen, diesmal dauerhaft. Die Berliner Mauer ist gefallen, das kommunistische System scheint endgültig gescheitert. Jonas, inzwischen Familienvater und glücklich mit einer Französin verheiratet, besucht seine alte Heimat Prag, sucht noch einmal den Kontakt mit seinen Freunden, die damals geblieben sind. Vieles hat sich verändert, vieles ist neu. Dann kommt es zu einer letzten Begegnung mit dem pensionierten Inspektor Muda…
Der Band, der wieder im typischen Stil Giardinos gestaltet ist – realistische Zeichnungen und genaue, akribische Betrachtungen in klarer Linie – besticht auch durch die Charakterisierungen der Personen (Giardino besuchte sich vor seiner Karriere als Comiczeichner und vor dem Fall des Eisernen Vorhangs mehrfach Staaten den Ostblocks). Jede bekommt von Giardino eine Vita verpasst, die sorgfältig und konsequent verfolgt wird. Dabei erscheinen der furchtlose Buchhändler Pinkel, der für Jonas zum väterlichen Freund geworden ist, und der unerschrockene, stets in sich ruhende Klempner Slavek wie Inseln der Vernunft inmitten eines kommunistischen Systems, das mit Denunziationen und Repressalien arbeitet. Passend zum Erscheinen des letzten Bandes legt der Verlag die ersten drei Alben in einem Sammelband neu auf, was Neulesern ermöglicht, die Geschichte von Jonas Fink nun in einem Rutsch zu lesen. Eine Geschichte, die wunderbar erzählt ist, spannend und rührend, dramatisch und humorvoll, melancholisch und bittersüß. Und mit der sich Giardino als ganz großer Erzähler erweist. Der Band ist auch in einer limitierten Luxusvariante erhältlich, samt signiertem Druck und einer DVD, die ein Interview mit Giardino enthält.(bw)
Jonas Fink, Band 2: Der Buchhändler von Prag
Text & Bilder: Vittorio Giardino
176 Seiten in Farbe, Hardcover
Salleck Publications
29,90 Euro
ISBN: 978-3-89908-691-1