Interview mit Kristina Gehrmann (Im Eisland)

November 21, 2016

Kristina Gehrmann

Welch ein Debut! Gleich mit „Im Eisland“, ihrem ersten Comic, konnte die in Hamburg lebende Illustratorin Kristina Gehrmann nicht nur die Kritiker begeistern, sondern auch den Deutschen Jugendliteraturpreis einheimsen. Und das bei einer – zumindest in der Theorie – sperrigen Thematik: Die verhängnisvolle Franklin-Expedition in die Arktis, auf der Suche nach der Nordwestpassage, während der in den Jahren 1845 bis 1848 alle Expeditionsteilnehmer starben und beide Schiffe verloren gingen. In drei dicken, faszinierenden Bänden, erschienen im Hinstorff-Verlag, hat Kristina Gehrmann die Geschichte des Dramas aufgezeichnet, den historischen Personen Gesicht und Persönlichkeit verliehen und dabei die bekannten Fakten mit fiktiven Geschehnissen verknüpft, so dass eine schlüssige Interpretation der Katastrophe entstand. Wir hatten die Möglichkeit, ihr darüber einige Fragen zu stellen:

Comicleser (CL): „Im Eisland“ bekam durchweg gute Kritiken und gerade hast Du den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten. Gleich mit Deinem ersten Comic. Glückwunsch! Hättest Du das erwartet, als Du damit begonnen hast?

Kristina Gehrmann (KG): Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es unter den Nominierten und Auszeichnungen des Deutschen Jugendliteraturpreises schon mal einen Comic/Graphic Novel gab. Aber selbst wenn ich das gewusst hätte, hätte ich für „Im Eisland“ nie damit gerechnet. Es war ja nicht mal als Jugendbuch gedacht. Natürlich freue ich mich jetzt riesig! Für einen deutschen Comic oder gar Manga dürfte so eine Auszeichnung noch ungewöhnlich sein.

CL: Vor „Im Eisland“ hast Du ausschließlich als Illustratorin gearbeitet. Wie kam es dann zu dem Entschluss einen Comic zu machen? Und wie kommst Du zu der ungewöhnlichen Thematik der Franklin Expedition? Was fasziniert Dich daran?

KG: Ich bin 2012 beim Stöbern in Wikipedia auf die Geschichte gestoßen und fand sie faszinierend. Nachdem ich den Roman „Terror“ von Dan Simmons gelesen habe, der ebenfalls diese Geschichte erzählt (nur mit Fantasy-Elementen), habe ich erstmal ein paar Bilder als „Fanart“ zu dem Thema gezeichnet. Normalerweise, wenn ich ein Thema faszinierend finde, reicht es, wenn ich mich in ein paar Illustrationen dazu austobe.

Aber hier hat das nicht gereicht. Ich wollte die komplette Geschichte erzählen. Anfangs hatte ich mich sogar davon abgehalten. Ich hatte ja kaum Erfahrung mit dem Comiczeichnen, und überhaupt wäre das Projekt viel zu groß für einen Anfänger wie mich. Aber die Motivation war stärker. Die Geschichte musste raus! Außerdem hatte ich Ersparnisse für einige Monate, von denen ich leben konnte, während ich zeichne. Also sagte ich mir, mach doch erstmal nur einen Comicband, und dann kannst du ja sehen, ob das funktioniert. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Die Schiffe bei der ersten Überwinterung

Die Schiffe bei der ersten Überwinterung

CL: Die Zeichnungen, bzw. die Gesichter der Personen von „Im Eisland“ zeigen Anklänge an den Manga-Stil. Hast Du Dich bewusst für diesen Stil entschieden oder war das von vorneherein klar?

KG: Da ich besonders gern historische Mangas lese, waren diese als Vorbild für mich eine natürliche Wahl. Ich dachte auch, dass es somit interessant für Manga-Verlage sein könnte. Das war dann aber nicht der Fall, denn der Manga-Markt hierzulande bevorzugt andere Arten von Geschichten. Für meinen Verlag und die meisten Kritiker war das dennoch kein Thema – Comic ist Comic.

CL: Welche Comics liest Du selbst?

KG: Aufgewachsen bin ich vor allem mit franko-belgischen Comics (Tim und Struppi, Asterix, Yoko Tsuno, Lucky Luke, Gaston), sowie mit den „Entencomics“ (alles von Don Rosa, Carl Barks, und die Lustigen Taschenbücher).

Als Jugendliche habe ich gern Dragon Ball, Lady Oscar und Cantarella gelesen. Jetzt mag ich besonders die Mangas über Nero, Jeanne d’Arc und Jesus von Yoshikazu Yasuhiko, die unverständlicherweise nicht auf Deutsch oder Englisch erschienen sind (ich besitze die italienischen Ausgaben). Ich bin auch ein großer Fan von Makoto Yukimuras Vinland Saga, und den Horror-Mangas von Junji Ito.

CL: Viele Details des Endes der Franklin Expedition sind unbekannt. Es gibt nur Indizien. Ist es Dir schwer gefallen, diese „dunklen“ Stellen mit Handlung und Bildern zu füllen?

KG: Das ist der besondere Reiz an der Geschichte! Ich wollte möglichst viele bekannte Fakten und Theorien mit einbeziehen. Aber warum dies oder jenes passierte, oder wie es dazu kam, ist oft ungeklärt. Da muss man einen halbwegs plausiblen Grund erfinden. Für den groben Verlauf der Ereignisse habe ich mich besonders an der Theorie des Autors David Woodman in „Unravelling the Franklin Mystery: Inuit Testimony“ orientiert.

CL: Beide Franklin Schiffe wurden in den letzten beiden Jahren gefunden. Die HMS Terror gerade vor wenigen Wochen. Wären sie früher gefunden worden – was hättest Du an Deiner Geschichte ändern müssen? Oder stützen die Funde bzw. die Fundorte Deine Version der Geschichte?

KG: Die Erebus wurde gefunden, als ich gerade am zweiten Band zeichnete, und so konnte ich ihren realen Fundort noch mit in die Geschichte einfließen lassen. Als die Terror gefunden wurde, waren die drei Bände schon veröffentlicht. Das Interessante ist, dass die Terror gar nicht in der Viktoria-Straße (westlich der King-William-Insel) liegt, wo man sie seit Jahren vermutet und aktiv sucht (so stellt meine Geschichte es auch dar); sondern viel weiter südlich in der Terror Bay, viel näher als gedacht bei der Erebus. Und sie ist sogar in noch besserem Zustand. Somit ist meine Interpretation der Geschichte an dieser Stelle falsch. Und wer weiß, wieviel sich noch als Irrtum erweist, wenn in den folgenden Jahren die beiden Schiffswracks weiter untersucht und möglicherweise wichtige Hinweise gefunden werden. Ich freue mich aber sehr darauf!

Kapitän Crozier bespricht die heikle Lage

Kapitän Crozier bespricht die heikle Lage

CL: Du gibst zahlreiche Quellen an, musstest sicher viel recherchieren. Deine Darstellung des Schiffsalltags ist sehr detailliert und fundiert. Wie aufwändig war diese Arbeit, auch verglichen dann mit dem eigentlichen Zeichnen? Zumal die drei Bände ziemlich zeitlich hintereinander veröffentlicht wurden und sehr umfangreich sind?

KG: Das viele Lesen hat Spaß gemacht, auch wenn es teilweise verwirrend war, wenn sich einige Details widersprachen, oder verschiedene Autoren verschiedene Theorien zur Erklärung des Desasters hatten. Irgendwann hatte ich dann genug Informationen gesammelt, um zu entscheiden, wie ich die Geschichte in den Grundzügen aufbaue.

Übers Internet habe ich Leute gefunden, die Experten auf dem Gebiet sind, und ihnen Fragen gestellt; sie haben mir weitergeholfen und mich an noch mehr Literatur verwiesen. Über diesen Weg habe ich die Facebook-Gruppe „Remembering the Franklin Expedition“ gefunden, wo Experten und Amateure sich über das Thema austauschen. Gelegentlich organisieren sie auch Treffen; so habe ich in London und Portsmouth einige von ihnen persönlich kennengelernt.

Einer von ihnen hat die Erebus und andere Dinge im 3D-Programm Google SketchUp gebaut, ein anderer beschäftigt sich damit, die Pläne der Terror nachzuzeichnen. Diese Dinge haben sie mit mir geteilt, die waren beim Zeichnen eine große Hilfe.

CL: Gibt es Pläne für eine internationale Veröffentlichung von „Im Eisland“? Durch die Schiffsfunde ist die Expediton ja wieder in den Medien.

KG: Das wäre grandios! Mein Verlag (www.hinstorff.de) ist sehr interessiert daran, Lizenzen ins Ausland zu verkaufen und bemüht sich aktiv um Kontakte. Ebenso meine Agentur für den englischsprachigen Markt (www.astound.us). Zum jetzigen Zeitpunkt steht aber noch nichts fest.

CL: Hast Du schon ein neues Projekt im Auge? Wieder ein Comic?

KG: Ich habe angefangen, den US-Klassiker „Der Dschungel“ von Upton Sinclair als Graphic Novel umzusetzen, und davon das erste (fertig gezeichnete 30 Seiten) von insgesamt elf Kapiteln beim Comic-Stipendium der Berthold-Leibinger-Stiftung eingereicht. Dort wurde es unter die Finalisten des Preises 2016 gewählt. Die anderen Seiten sind alle noch im Skizzenstadium, bis zur Fertigstellung werde ich noch eine ganze Weile brauchen.

CL: Vielen Dank für Deine interessanten Antworten!

(bw)

Hier geht’s zu den Besprechungen der drei „Im Eisland“ Bände (Klick auf das jeweilige Cover):

Im Eisland, Band1 (Hinstorff)

Im Eisland, Band 2 (Hinstorff)

Im Eisland, Band 3 (Hinstorff)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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