Ruppig geht es zu bei den Orden der Zwerge, das muss der kleine Ordo leidvoll am eigenen Leibe erfahren. Er hat nämlich einfach nur das Pech, am falschen Tag Geburtstag zu haben: nämlich am 06.06. als sechstes Kind seiner Eltern. Damit qualifiziert er sich automatisch für einen unmenschlichen Ritus. Just an seinem Geburtstag tauchen nämlich düstere Gestalten auf und entreißen ihn seinen Eltern, die diesen finsteren Machenschaften gehorsam zusehen und die verzweifelten Proteste seiner Schwester Tann ignorieren. Der kleine Talion landet, wie viele Leidensgenossen, in den Fängen der Schwarzen Loge, deren Aufgabe es ist, Elitemörder auszubilden – und dafür schrecken die Gesellen vor keinem Gräuel zurück. Die Kinder werden rücksichtslos im Elendsviertel in der Stadt der Bastarde ausgesetzt, müssen dort um Essen und Kleidung kämpfen und dabei lernen, ohne zu Zögern einen der ihren im Stich zu lassen, um sich selbst zu retten. Mit 12 werden die wenigen Überlebenden an ein Halbblut verscherbelt, der ihnen beibringt zu töten. Nur zwei der Unglücklichen überleben: Ordo und seine Gefährtin Heba schaffen es, ihr 18. Lebensjahr zu erblicken.
Ihre Wege trennen sich, und Ordo zieht mit seinem Meister Abekash durch die Lande, der spürt, dass Ordo sich nicht zum seelenlosen Killer umfunktionieren lassen will. Den Auftrag, eine ganze Familie auszulöschen, führt er denn auch nur scheinbar aus: er verschont ein kleines Mädchen heimlich und rettet damit seine Menschlichkeit. Dann taucht Abekash nach Jahren wieder auf und konfrontiert Ordo mit einem brenzligen Auftrag: er soll niemand anderes als seine alte Freundin Heba töten. Denn die sei etwas zu neugierig für den Geschmack der Rat der Dreizehn geworden, die dem Orden vorstehen und die Schwarze Loge befehligen. Ordo macht Heba tatsächlich ausfindig, und nach einem rabiaten Mittelding zwischen Todeskampf und Liebesspiel macht ihr Ordo einen brisanten Vorschlag: er will mit ihr paktieren und das Drachenherz stehlen, ein Rubin, in dem ein Alchimist sein ganzes Wissen eingeschlossen hat und der seit 800 Jahren vom Orden der Talion gehütet wird wie ein Schatz. Denn niemand anders Ordos Vater will unbedingt in den Besitz des Rubins kommen, um das Wissen und somit die Macht an sich zu reißen – und im Gegenzug verspricht er Ordo Schutz und Reichtum. Ordo überzeugt Heba, sich auf die Suche nach weiteren Komplizen für dieses Himmelfahrtkommando zu machen…
Auch im zweiten Band der Zwergen-Saga liefert Nicolas Jarry, der Spezialist für verwickelte Historien, eine für ihn eigentlich untypische, geradlinige Fantasy-Story ab, die es in sich hat. Das Grundkonzept, in jedem Band einen Vertreter eines einzelnen Ordens in den Mittelpunkt zu stellen, behält er dabei im Auge. Wie schon Band 1 das Innenleben eines scheinbar kaltblütigen Assassinen beleuchtete, beschäftigt sich Jarry auch hier oberflächlich mit einer actionreichen Geschichte um Rache, Macht und vor allem Drachen – aber eigentlich geht es mindestens ebenso viel um Ausbeutung, Opportunismus und den verzweifelten Kampf um die Menschlichkeit, den Ordo nicht aufgeben möchte. Vor dem Hintergrund von Kindersoldaten, Terrormilizen und anderen inhumanen Praktiken in diversen Krisengebieten scheint das Vorgehen der Schwarzen Loge keinesfalls aus der Luft gegriffen, sondern als ein durchaus brandaktuelles Thema, das allerdings durch die mehr als süffisant-flapsige Sprache und die kraftvollen Wortschöpfungen, die wir schon in Band 1 bewunderten („Pisserin“ für Mädchen, „Flonz“ für Hintern und vieles mehr) oft wohltuend durch eine Prise Humor erträglich gemacht wird.
Stéphane Créty („Die Geißeln von Enharma“, bisher zwei Bände, ebenfalls bei Splitter) inszeniert das Geschehen in passend-forschem Strich in klassischer Fantasy-Stilisierung mit leicher funny-Schlagseite, die allerdings durch atmosphärische Farbgebung und Perspektiven immer wieder der Schwere des Themas gerecht wird. Band 3-5 sind schon konzipiert, als nächster Beitrag ist „Aral vom Tempel“ in Vorbereitung. Wir sind sicher, es geht nicht um den Orden der Tankwarte. (hb)
Die Saga der Zwerge, Band 2: Ordo von der Talion
Text: Nicolas Jarry
Bilder: Stéphane Créty
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-245-8
