Demokratie (Atrium)

Dezember 29, 2015

Demokratie (Atrium Verlag)

Nahe Marathon, im Jahr 490 vor Christus: die Perser belagern Athen. König Darius will die freiheitsliebenden Griechen unterwerfen, aber ein Fähnlein der Aufrechten leistet Widerstand (gute Sitte, das hat König Leonidas immerhin auch getan). Die Zeichen stehen nicht allzu gut, und so herrscht im Lager der Griechen am Vorabend der alles entscheidenden Schlacht nicht gerade Feierstimmung. Da beginnt der unscheinbare Leander seine Lebensgeschichte zu erzählen, die eng verwoben ist mit der Entstehung der griechischen Idee von Freiheit und Selbstbestimmung. Als Kind in Athen muss Leander mit ansehen, wie seine Eltern während eines (vermeintlichen) Aufstandes gegen den Tyrannen Hipparchos von dessen Leibwache, den rabiaten Skythen, getötet werden und ihr Haus niedergebrannt wird. Er lässt seinen Freund Gavrion und die Dienerin Nefert zurück und findet Unterschlupf bei Antenor, einem alten Bekannten seines Vaters, der in Delphi wohnt. Dort verdient sich der Junge als Tempeldiener seinen Unterhalt, der die zuhauf für das berühmte Orakel angeschleppten Opfergaben lagert, putzt und katalogisiert. Schnell wird ihm klar, dass die Sache mit den Weissagungen nichts anderes ist als Lug und Trug: die Sprüche, die alles und nichts bedeuten können, sind durch reichliche Gaben käuflich – was der mysteriöse Alkmainoide Kleisthenes denn auch weidlich ausnutzt, als er als Kopf einer griechischen Delegation kurzerhand behauptet, das Orakel habe vorhergesagt, die Athener müssten sich mit den Spartanern verbünden, um das Joch der Gewaltherrschaft abzuwerfen.

Indes verliebt sich Leander rettungslos in Hero, die junge Tempelpriesterin, die als nächste Pythia ausgebildet wird. Von Kleisthenes erfährt Leander, dass sein Vater keinesfalls einem politischen Umsturz, sondern einem Eifersuchtsdrama zum Opfer fiel, das von gewissen politischen Kräften, die die Tyrannei abwerfen wollen, nur allzu gerne zum Staatsstreich umgedeutet wurde. Von Pallas Athene, die Leander verschiedentlich erscheint, erhält der Junge schließlich die Inspiration, sich als Vasenmaler zu versuchen, worauf Kleisthenes ihm nahelegt, doch künstlerisch die Rebellion voranzutreiben. Er solle doch Szenen eines Tyrannenmordes malen, denn „Kunst ist eine Darbietung. Wie Politik“. In Athen teilen sich inzwischen Isagoras und Echekrates die Macht, die den nur noch pro forma existierenden Rat gegeneinander ausspielen und mehr oder weniger autokratisch herrschen. In einem immer mehr eskalierenden Wahlkampf entwickelt Kleisthenes dann eine radikal anmutende Idee: wenn man die drei Regionen Athens – Küste, Stadt und Ebene -, in denen jeweils Adlige herrschen und Vertreter in den Rat entsenden, neu ordnet, entsteht eine gänzlich neuartige Staatsform, in der plötzlich jeder Bürger eine Stimme hat – „Jeder käme in den Besitz der Bürgerrechte“, und die Macht ginge wirklich vom Volk aus. Diese rebellische These schmeckt den Herrschern Isagoras und Echekrates natürlich gar nicht: Isagoras paktiert mit dem Spartaner-König Kleomenes, um sich an der Macht zu halten, Echekrates erkennt die aufrührerischen Tendenzen in Leanders Kunst und verletzt ihn schwer – während alle Alkmainoiden aus der Stadt verbannt werden und der offene Bürgerkrieg droht…

„Wir haben alles gesehen und alles probiert: Monarchie, Tyrannei, Die Macht der Wenigen. Sie alle stützen sich auf dasselbe: Kontrolle. Alle haben einen Schwachpunkt: Instabilität.“ Mit dieser Erkenntnis beschreibt Kleisthenes die wechselhafte Entwicklung von Staatsformen, die die Weltgeschichte universell begleiten. Die durchaus schmerzhafte Geburt der Volksherrschaft entwickelt sich am Beispiel des Künstlers Leander hier durchaus symbolträchtig: die Macht der Kunst, vor allem der Bildenden, steht gegen Herrschsucht, Bestechlichkeit (in Form des Orakels), fragwürdige Ethik und Opportunismus (die angeblich so freigeistige Hetäre Danae kuscht schnell vor den Herrschenden, als es brenzlig wird) – ebenso wie die Athener sich gegen die anrennenden Perser in der Schlacht von Marathon zur Wehr setzen müssen. Für diesen bunten geschichtlichen Reigen greifen die Schöpfer Abraham Kawa, Alecos Papadatos und dessen Frau Annie Di Donna neben dem fiktiven Leander (dessen Nähe zur Sage von Hero und Leander offen thematisiert wird) auf eine durchaus umstrittene historische Figur zurück: der zentrale Denker Kleisthenes, gemeinhin als „Vater der Demokratie“ bekannt, erscheint teilweise zwielichtig, teilweise wahrhaft visionär und wird somit ähnlich zwiespältig gezeichnet wie von den Historikern, die ihn wahlweise als radikalen Reformer oder als haltlosen Opportunisten deuten.

Die Grundthese, dass in Athen das goldene Zeitalter der Demokratie anbrach, scheint zwar aus heutiger Sicht etwas fragil, da selbstverständlich nur die Bürger wahlberechtigt waren und die Heerscharen von Sklavenarbeitern natürlich weiterhin weitgehend rechtlos dahin fristeten. Dennoch erstrahlt die Grundidee der Herrschaft des Volkes gerade vor dem Hintergrund der universellen Ungleichheit und Politikverdrossenheit moderner Tage umso heller und relevanter, was ‚Demokratie‘ zu einer zwar ausufernden, aber immer unterhaltsamen und auch nachdenklichen Geschichtsstunde macht. Zeichner Alecos Papadatos, dessen reduzierte, teilweise cartoonhafte Inszenierungen der inhaltlichen Komplexität und Schwere angemessen erscheint, gelang 2010 schon mit ‚Logicomix‘, einer Biographie des Wissenschaftlers und Logikers Bertrand Russell, eine faszinierende Reise, die er nun mit Abraham Kawa, der neben seiner Professur für Kulturwissenschaften auch als Roman- und Drehbuchautor tätig ist, in Richtung Antike fortsetzt. In kleinen Vignetten und großen Schlachtgemälden gleichermaßen entfaltet sich somit die Historie einer Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt – gegen alle Widerstände, so übermächtig sie auch scheinen mögen. (hb)

Demokratie
Text: Abraham Kawa
Bilder: Alecos Papadatos, Annie Di Donna
240 Seiten in Farbe, Softcover
Atrium Verlag
24,99 Euro

ISBN: 978-3-85535-595-2

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