Deadpool Sonderband 1 (Panini)

September 28, 2014

Deadpool Sonderband 1: Weiber, Wummen & Wade Wilson

Wade Wilson ist ein Großmaul. Das mal zuallererst. Dann ist er noch ein Söldner, und zwar einer, der die Autoritäten missachtet und dem jedes Mittel Recht ist, um seinen Auftrag zu erfüllen. Nebenbei ist er noch Deadpool, ein Mutant mit enormen Selbstheilungskräften, die im Waffe X-Programm nochmals erhöht wurden – mit dem bedauerlichen, klitzekleinen Nebeneffekt, dass Wilsons ohnehin nicht sonderlich gefestigte geistige Verfassung in weitgehend unberechenbare Psychosen abglitt und er bisweilen nicht so recht weiß, wer oder was er eigentlich ist. Vollkommen entstellt, schwingt er sich seitdem in rotem Ganzkörpergummianzug durchs Marvel-Universum, dabei mal als Gegner, mal als widerwilliger Kumpan von Wolverine, Cable, Weapon X und anderen Formationen.

Rechtzeitig zum langsam Fahrt aufnehmenden fanboy-Gemurmel um den 2016 kommenden Film mit Ryan Reynolds in der Rolle des „merch with a mouth“, die er ja schon im ersten Wolverine-Solo-Film gab, serviert uns Panini hier als Neuauflage mit Weiber, Wummen & Wade Wilson eine Mini-Serie von 2010, die ein wenig Licht ins (geistige?) Dunkel von Wade Wilsons Herkunft bringt. Oder auch nicht. Denn wie bei Deadpool Tradition, bricht die Story permanent mit Erzählkonventionen, der Protagonist schert sich einen Dreck um die „vierte Wand“, die üblicherweise Fiktion und Leser trennt (das hat ja auch schon Bert Brecht nicht getan, der die Figuren mit dem Publikum reden ließ, nur bei dem war das bei weitem nicht so cool wie hier), sondern quatscht fröhlich mit uns drauf los.

Freiwillig gestellt hat er sich, so der furiose Auftakt, für eine Anhörung im Senat nach einem Massaker in Mexiko, an dem er beteiligt gewesen sein soll. Er berichtet dem Senator, der einem gewissen Ronald Reagan wie aus dem Gesicht geschnitten ist, er sei Mitglied einer geheimen Söldnertruppe namens Team X gewesen, wo er zusammen mit Bullseye (ja, der Erzfeind von Daredevil, genau der – „me, I’m magic“), Domino und Silver Sable die Drecksarbeit für die US-Regierung erledigte. Und zwar so gut, dass man sie am Ende loshaben wollte: die ganze Sache in Mexiko war ihm zufolge eine Falle, um die vier Weapon X-Experimente loszuwerden, weil die Geister, die man rief, ein unliebsames Eigenleben entwickelten und vor allem Wade sich in Superhelden-Wahnvorstellungen verrann. Dabei erleben wir in ironischer Brechung die Version von Wade – er erleidet die Höllenqualen von Weapon X heroisch, um trotz Diagnose einer unheilbaren Krankheit weiter seinem Lande dienen zu können – und das, was wohl näher an der Wahrheit ist (Wade ist ein Feigling, wird einfach geschnappt und kreischt hysterisch, als die Nadeln auf ihn zukommen). Komplett auf den Kopf gestellt werden die Ereignisse gegen Ende, als sich die ganze Anhörung als Inszenierung entpuppt, um ein Attentat auf die Senatoren zu verüben, worauf Deadpool mit seiner Domino das Weite sucht. Soweit so gerissen und Wade-mäßig, aber wer ist dann die beklagenswerte Gestalt, die neben wirren Kritzeleien in einer Nervenheilanstalt sitzt und von einem Arzt betreut wird, der verblüffend aussieht wie der Senator?

Comic- und Thriller-Autor Duane Swierczynski (u.a. MAX: Punisher) liefert hier eine tour de force von Metaebenen, satirischen Spiegelungen und postmoderner Erzähltechnik: da behauptet Wade ständig, er sei ein Comic-Superheld, die Handlung stoppt in Form von Gewehrsalven, die in der Luft hängen, während Wilson sich Zeit nimmt, uns seine gerissenen Tricks näherzubringen, und wir erleben permanent andere Darstellungen und Interpretationen ein und desselben Hergangs. Das ist modernes Drama, das ist Kurosawa, das ist Caligari, und in seiner fiebrigen Erzählweise auch ein intuitives Bild von Wades verwirrtem Geist, in den Fiktion, Wunsch und Realität ineinander fließen. Vor allem ist das aber ein diebischer Lesespaß, das von einem durchgeknallten Charakter lebt, der genauso hintersinnig in Szene gesetzt ist, wie er es verdient. Bestens! (hb)

Deadpool: Weiber, Wummen & Wade Wilson
Text: Duane Swierczynski
Bilder: J. Trent Pearson
100 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
12,99 Euro

ISBN: 978-3-95798-085-4

Tags: , , , , , ,

Comments are closed.