Alabama, Oberon, Mallory, Prufrock und Sid gehören zur Familie der „Akademie“. Jugendbande könnte man sagen, aber das wäre viel zu kurz gegriffen. Denn wir befinden uns in der Zukunft, irgendwann nach dem berühmten großen Knall, irgendwo in den Resten und Ruinen einer nicht näher bestimmten Stadt. Hier ist die Akademie zuhause, samt ihrem eigenen Territorium, wie auch andere benachbarte „Familien“ mit Namen wie „Das große Geschäft“ oder „Jungs in Blau“. Alabama ist die Anführerin der Akademie, als Heimat dient ein Lagerhaus, das eine riesige Schallplattensammlung beherbergt. Eines Tages steht Slug vor der Tür. Slug musste die Familie verlassen, da er über 18 ist. Jetzt ist er wieder da, entgegen der Regeln, mit einem Pfeil im Rücken. Dann verschwindet die schwangere Sid und die Akademie macht sich auf, sie zu suchen…
Nach und nach erschließen sich Welt und Setting in dieser wilden Dystopie, die voller origineller Details steckt: Die Familien bestehen allesamt aus Jugendlichen – was mit jenen passiert, die die Familien mit ihrer Volljährigkeit verlassen müssen und was überhaupt mit den Erwachsenen geschehen ist, wissen wir nicht. Die Welt der Jugendlichen beschränkt sich auf deren Territorium – alles darüber hinaus ist Neuland und nur aus Gerüchten bekannt. Die verschiedenen Familien, die in einem fragilen Frieden zusammen- bzw. nebeneinanderleben, werden mit kuriosen Leitmotiven charakterisiert. So wählt sich jedes Mitglied der Akademie eine Schallplatte als „Gott“ aus, die es fortan ständig bei sich trägt (Sid wählt „Private Eyes“ von Hall & Oates aus dem Jahr 1981 – ansonsten ist eher Punk angesagt), während „Das große Geschäft“ Schweinchenmasken trägt.
Dann ist da noch die fantastische Komponente: offenbar wird die Welt der Familien in einem gewissen Umfang von unbekannten Wesen gesteuert, die nur die „Fremden“ genannt werden – die ab und an als große, schlanke, gesichtslose Figuren ganz in schwarz auftauchen. Viel erfahren wir darüber (noch) nicht, dennoch treibt ein Zwischenfall mit den „Fremden“ die Story voran, in der wir gemeinsam mit den Mitgliedern der Akademie auf der Suche nach Sid die unbekannte Welt da draußen erfahren und kennenlernen. Dabei stecken die Begegnungen natürlich voller Gefahren und gestalten sich als reichlich skurril. Beispiele: Der Markt, dessen „Angestellte“ alle David heißen. Die Familie, die sich kleidet wie alte Leute und die in einer Art Horrorhaus lebt. Und natürlich der pervertierte Jahrmarkt, einer der Hauptschauplätze der Story.
Der Sammelband (es gibt auch wieder eine Hardcover-Ausgabe mit alternativem Cover – siehe rechts – ebenfalls auf 333 Exemplare limitiert) beinhaltet die die ersten sechs US-Hefte der Reihe, die Ende 2021 bei Image startete (dort erschienen auch Ausgaben, denen tatsächlich eine Schallplatte beigelegt war) und ist in unterschiedlich lange Kapitel gegliedert, von denen manche nur eine Seite lang sind – auch das ein Kuriosum. Das Setting, die unbekannte Welt mit ihren seltsamen Regeln (so wird beispielsweise der Tod erschreckend gleichgültig hingenommen oder gefeiert), das Spiel mit diversen Genres, inkl. schwarzem Humor und nicht zuletzt die Figuren machen den Reiz des ersten Bandes aus, in dem die „Akademie“ bzw. deren Mitglieder auf der Suche nach Sid ständig gebeutelt werden.
Autor Matthew Rosenberg (u.a. DC Horror, Der Joker, Uncanny X-Men) versteht es, die Story stets interessant und mit Wendungen angereichert weiterzutreiben. Zeichner Tyler Boss (Lazarus, The Department of Truth – beides auf Deutsch bei Splitter) kreiert immer wieder originelle Panelabfolgen und hält seine Bilder in einem kräftigen wie klaren Tuschestrich, teilweise in einer knalligen, aber absolut passenden Neon-Kolorierung, eben wenn die Story Richtung Jahrmarkt schwenkt. Was es in dieser seltsamen Welt noch zu entdecken gibt, welches Schicksal Sid erleidet und wie die Quest nach ihr weitergeht, erfahren wir dann im nächsten Band, der bereits in Vorbereitung ist. (bw)
What’s the furthest place from here, Band 1
Text & Story: Matthew Rosenberg
Bilder: Tyler Boss
272 Seiten in Farbe, Softcover
Skinless Crow
29,90 Euro
ISBN: 978-3-03963-041-7
