Entsetzen im Hause Bantry: in der Bibliothek des großzügigen Herrenhauses liegt eine junge Dame – offenbar rabiat ermordet, und, was für den Tory-Abgeordneten Arthur Bantry fast noch peinlicher ist, durchaus spärlich bekleidet. Flugs holt man die Polizei, die in Person von Chief Constable Melchett auch prompt eintrifft und die Ermittlungen aufnimmt. Aber Dorothy Bantry wittert hier auch eine goldene Gelegenheit für ihre gute alte Freundin Jane Marple, die sich bekanntlich gerne mit Verbrechen aller Art beschäftigt und diese auch gerne mal löst. Auch wenn Miss Marple der Polizei eher auf den Nerv geht, liefert sie doch eine erste gute Idee: die junge Dame könnte doch zum Tross des Filmproduzenten Basil Blake gehören, der kürzlich in die Nachbarschaft gezogen ist und durch ein wildes Partyleben von sich reden macht.
Vor Ort zeigt Blake sich amüsiert und liefert in Form seiner Freundin ein zumindest scheinbar wasserdichtes Alibi. Bei der Polizei meldet sich zwischenzeitlich eine gewisse Josie Turner, die die Tote offenbar kannte: es handelt sich wohl um eine junge Dame namens Ruby Keene, die für ihre Cousine Josie als Tänzerin im Hotel Majestic eingesprungen war und dort zwischen zwei Auftritten spurlos verschwand. Im luxuriösen Hotel nimmt die Polizei weitere Ermittlungen auf, wobei ihnen Miss Marple, die irgendwie immer schon einen Schritt weiter zu sein scheint, andauernd über den Weg läuft. Im Hotel zeigte sich der dort permanent residierende steinreiche, an den Rollstuhl gefesselt Industrielle Conway Jefferson derart an Ruby interessiert, dass der Verdacht schnell auf ihn fällt, sich aber nicht erhärten lässt.
Auch einem weiteren Verehrer, dem glücklosen Alan Bartlett, dessen Avancen Ruby brüsk ablehnte, fühlt man auf den Zahn. Ein zwielichtiger Tänzer mit dem Künstlernamen Ramon zeigt der Polizei Rubys Zimmer, wo man eine längst nicht mehr in Gebrauch befindliche Tür nach außen findet – offenbar der Weg, auf dem Ruby spurlos verschwand. Während in Person der Superintendent Harper weitere Ermittler auf den Plan treten, mietet sich auch Dorothy im Hotel ein und nimmt gemeinsam mit ihrer Freundin Jane Marple die Spur auf…
Mit „The Body In The Library“ lieferte die Grand Dame der Detektivromane Agatha Christie 1942 den zweiten Fall von Miss Marple vor, die ihren ersten Auftritt schon 1930 in „The Murder In The Vicarage“ absolvierte. Im Gegensatz zur populären Verkörperung der Figur durch Margaret Rutherford in den Kinofilmen der frühen 60er Jahre, wo Miss Marple durchaus aktiv und auch gerne mal burschikos ins Geschehen eingreift, bleibt die Ermittlerin der Vorlage eher im Hintergrund und löst ihre Fälle mit einer Tasse Tee um Küchentisch. Der Polizei steht sie hier gerne mal im Weg und gibt sich à la Columbo etwas naiver, als sie eigentlich ist. Die übliche Christie-Masche der zahlreichen falschen Fährten und Red Herrings kennt man bestens auch aus den Hercule-Poirot-Stories, wo am Ende dann eine teilweise überraschende Lösung präsentiert wird.
In der vorliegenden Adaption, die bei Carlsen als Band 2 der Reihe Agatha Christie Classics erscheint (in Band 1 konnten wir eine Umsetzung des Mord im Orient-Express bestaunen), wendet Autor Dominique Ziegler einen spannenden Kunstgriff an: die Handlung spielt nicht in den 40ern, sondern wird ins Jahr 1966 versetzt, woraus sich einiges an Spannung, Komik und auch Anspielungsreichtum speist. Das England der Swinging Sixties erscheint da in seiner ganzen Freizügigkeit und Widersprüchlichkeit: lose Sitten werden offen angesprochen, die Upper Class hält an ihrem alten Moralkodex fest, der von der jungen Generation zunehmend entlarvt wird, das was zu allerlei Konflikten führt. Der Filmproduzent Blake gibt dabei den typischen linken Intellektuellen, der das Establishment aufs Korn nimmt und dabei dennoch ebenso wohlhabend ist.
In seinem Designer-Haus finden sich zeitgenössische Filmposter wie „Alfie“ mit Michael Caine und natürlich „Blow Up“, mit dem Michelangelo Antonioni der Gegenkultur einen Meilenstein schenkte, dessen Handlung bis heute mysteriös bleibt. Schon von draußen dröhnen moderne Klänge aus dem Haus, die Textzeilen schweben gleichermaßen durch die Luft und lassen den Song unschwer als „Tomorrow Never Knows“ vom psychedelisch-experimentellen Beatles-Album „Revolver“ erkennen, was zu einem vielsagenden Wortwechsel führt: die Polizei verlangt, den Krach auszuschalten, Blake stellt fest, das seien die Beatles und er habe wohl Banausen vor sich, worauf Miss Marple sinniert: „Das sind die Beatles? Die haben sich aber verändert“, was der Chief Constable lakonisch ergänzt: „Ja, die haben jetzt lange Haare und nehmen Drogen“. Was mehr oder weniger exakt der Fall war.
In der U-Bahn steht an die Wand gesprüht zu lesen „Clapton is God“, es hängen noch Wahlplakate für den Labour-Kandidaten Henry Wilson, der 1964 zum Premierminister gekürt worden war, die Damenwelt trägt gerne Mini: so evoziert auch Zeichner Olivier Dauger in einer sehr klaren Linie den Zeitgeist, wobei vor allem die ganzseitigen Darstellungen der Luxus-Bauten und der umliegenden Tennisplätze für Eindruck sorgen. Somit eine gelungene Umsetzung mit einem originellen Ansatz, der die Vorlage sehr behutsam aktualisiert und damit einen frischen Blick liefert. (hb)
Agatha Christie Classics, Band 2: Die Tote in der Bibliothek
Text & Story: Dominique Ziegler, nach Agatha Christie
Bilder: Olivier Dauger
64 Seiten in Farbe, Hardcover
Carlsen Verlag
20 Euro
ISBN: 978-3-551-79413-0