Broadway, Band 1 (Splitter)

September 11, 2015

Broadway, Band 1 (Splitter)

Prohibition! Börsenrausch! Schillernde Dekadenz! Revue, Speakeasy und coole Autos! Kaum eine Epoche übt so viel Faszination aus wie die so genannten Roaring Twenties, die natürlich niemals so ausufernd waren wie ihr Fantasiebild, das in Romanen und vor allem den Gangsterfilmen der 30er Jahre ins öffentliche Bewusstsein gehämmert wurde. Dennoch umströmt den Gedanken an die ausgehenden 20er Jahre nach wie vor ein nostalgisch-verklärter Flair, den Djief (‚Götterdämmerung‘, ‚White Crows‘, beides ebenfalls bei Splitter) in seinem treffend-einfach ‚Broadway‘ genannten Zweiteiler meisterhaft in packender Story und atmosphärischem Bild umsetzt.

Die ungleichen Brüder Lenny und George Chapman geraten durchaus unerwartet in den Besitz eines Kabaretts auf dem Broadway, als ihr Bruder Walter sich auf dessen Bühne kurzerhand den Kopf wegpustet. Der eher nüchterne Lenny erwägt den Verkauf, aber George besteht darauf, das Etablissement im Geiste von Walter und der künstlerisch angehauchten Mutter neu zu beleben. Gesagt, getan: man engagiert einige unbekannte Chorus Line-Tänzerinnen, darunter die unbedarfte Fanny, deren „Ruhm“ bislang darin bestand, dem Bürgermeister, dem „schönen James“, im Jungle Club einen Hummer nebst Drink über den Kopf geschüttet zu haben. Als Zugpferd holt man sich den ehemaligen Star des Chapmans Paradise, die eigenwillige Diva Anna Hunter, zurück und macht sich frohen Mutes an die Neueröffnung. Die geschieht denn auch unter den missgünstigen Augen des Managers der naheliegenden Revuebühne Seven Heaven, der die freche Konkurrenz gar nicht gerne sieht. Nach Achtungserfolgen stellt sich allerdings schnell Ernüchterung ein: die Inszenierungen des Regisseurs sind ungelenk, die vermeintliche Hauptattraktion singt wie in löchriger Eimer, und eine eigens neu eingezogene Bühne bricht beim ersten Einsatz zusammen. Lenny und George müssen sich fragen, wie lange sie diesen Kampf um Publikumsgunst und gegen die immer vehementeren Kaufofferten eines mysteriösen Interessenten noch führen, geschweige denn überhaupt gewinnen können…

„Die große weiße Straße des Reichtums! Ein Leuchtturm, der all die Reichen leitet […] die den Rhythmus der Stadt mit ihren Parties bestimmen und nur eine Sache suchen: in der Erregung des Moments zu leben!“ Diese hymnische Beschreibung, mit der George seinem Bruder das Management des Etablissements schmackhaft macht, findet sich in Djiefs Gestaltung meisterhaft wieder: der Broadway kristallisiert den amerikanischen Traum in seiner Vollendung, eine glänzende Traumwelt, die umso zerbrechlicher wirkt, als sich der Tanz auf dem Vulkan unausweichlich seinem Ende zuneigt. Die Protagonisten wissen von dieser tiefen Ironie natürlich nichts, sie durcheilen eine scheinbar ewige Welt, die Djief so liebevoll gestaltet, dass man wähnt, man sei Nick Carraway, der im Rolls Royce des großen Gatsby durch die Straßen New Yorks rast: im Kino läuft Buster Keatons neuestes Lachfest ‚Spite Marriage‘, wahlweise kann man sich auch mit Laurel und Hardy in ‚Wrong Again‘ oder – wenn es ernster sein darf – mit dem gutaussehenden Douglas Fairbanks in ‚The Iron Mask‘ vergnügen. Die Ziegfeld Follies stehen mit der Extravaganz „Whoopie“ auf der Höhe des Ruhms, und in den Hotspots der Stadt, wie dem Jungle oder dem Cotton Club, konsumieren die feierwütigen Bohemiens mehr Alkohol als vor der Prohibition, und die Revues überbieten sich in Ausstattung, Glamour und Freizügigkeit.

Diese Glitzerwelt schildet Djief nicht nur aus dem Blickwinkel der Geschäftsleute, sondern auch der zahllosen Sängerinnen, die ihrem persönlichen amerikanischen Traum in Form einer großen Karriere nachjagen, für die sie auch gerne mal die Hüllen fallen lassen müssen. Der Aspekt des organisierten Verbrechens, in Filmen wie ‚The Roaring Twenties‘ zentral, bleibt hier am Rande – die Chapmans müssen vielmehr mit Betrug, Neid und Rachsucht kämpfen, die ihren Weg in der Revueszene der Stadt erschweren. Weniger als die Story allerdings besticht ‚Broadway‘ durch die opulente Gestaltung, in der Djief zutiefst filmisch in wechselnden Perspektiven und Panorama-Einstellungen den atemberaubenden Eindruck erzeugt, den auch die staunenden Filmproduzenten namens Erich Pommer und Fritz Lang bei ihrem Besuch der Stadt 1924 sprachlos machte: unwirklich, futuristisch, ein Lichtermeer aus Bewegung, Rhythmus und Träumen, in dem sich die neue Welt spiegelt und gleichzeitig aber ebenso auf ihren unvermeidbaren Untergang vorausdeutet. Denn die Fixpunkte, die Djief setzt, gehen aus den Filmen und Revues eindeutig hervor: wir schreiben das Jahr 1929, und der Zusammenbruch, der am 24. Oktober 1929 in Form des Schwarzen Montags die Seifenblase zerstörte und die Große Depression einleitete, steht unmittelbar bevor… Und ob wir das noch erleben müssen, zeigt uns dann Teil 2 der „Explosiven Show in 2 Akten“, der bereits in Vorbereitung ist. (hb)

Broadway, Band 1
Text & Bilder: Djief
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-117-8

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