Das Verschwinden des Josef Mengele (Knesebeck)

Januar 9, 2024
Das Verschwinden des Josef Mengele (Knesebeck Verlag)

Bundesrepublik Deutschland, 1985: ein eigentlich gerne vergessenes Kapitel der deutschen Geschichte steht plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses. Die „Bunte“ titelt, dass der nach Kriegsende verschwundene Josef Mengele, berüchtigter KZ-Arzt von Auschwitz, bis ans Ende seiner Tage 1979 unbehelligt in Südamerika lebte und dort von seiner bayrischen Familie bis zum Schluss unterstützt wurde. Der Skandal ist perfekt, die Firma Mengele – führend in Landmaschinen – nimmt erheblichen Schaden, und Sohn Rolf entschuldigt sich beim jüdischen Volk für die Vergehen seines Vaters. Die abenteuerliche Geschichte der Flucht und des Untertauchens eines der übelsten Vertreter des Nazi-Regimes stellte Autor Olivier Guez 2017 in einem Tatsachenroman dar, den Alexis Nolent unter seinem Künstlernamen Matz gemeinsam mit Jörg Mailliet nun als Graphic Novel umsetzt.

Wie im Roman wird der Weg Mengeles nachgezeichnet, der dank emsigen Schleusern im Juni 1949 unter dem Namen Helmut Gregor in Buenos Aires anlandet. Das Regime zeigt sich dort durchaus aufnahmefreudig gegenüber den Nazi-Granden – Diktator Juan Domingo Perón schert sich wenig um die Greueltaten der Gäste, die er als Alternative zu den imperialistischen USA und dem kommunistischen Block durchaus willkommen heißt. So bildet sich in Buenos Aires ein aktiver Zirkel aus ex-Größen des Regimes, darunter der ehemaligen SS-Mann Willem Sassen, der ihn in die feine und nicht so feine Gesellschaft einführt. Seine Frau Irene ist mit dem gemeinsamen Sohn Rolf zuhause in Deutschland geblieben, und so führt Mengele, dem seine Familie immer wieder generöse Geldsendungen zukommen lässt, völlig ohne Reue und Einsicht ein dekadentes Genussleben im Kreise seiner Gefährten, darunter Adolf Eichmann, den Mengele allerdings für einen naiven Trottel hält.

1956 wagt er kurzzeitig die Rückkehr nach Deutschland und wird von seinem Vater informiert, dass Irene die Scheidung eingereicht hat. Bruder Karl ist verstorben, und um die Firmenanteile beisammen zu halten, soll Mengele Karls Witwe Martha heiraten. Tatsächlich gehen die beiden zurück nach Argentinien, nehmen Marthas Sohn mit und schließen die Ehe, was sich letztendlich als Fehler erweist: die deutsche Generalstaatsanwaltschaft in Person des Nazi-Jägers Fritz Bauer bekommt 1959 vom ehemaligen KZ-Häftling Hermann Langbein den Tipp, in der Presse sei die Scheidung Mengeles veröffentlicht worden – die Spur führt nach Südamerika, wo nach dem Sturz Peróns der Schutz über den Faschisten bröckelt, Bonn verlangt die Auslieferung.

Mengele flieht aus dem Luxusleben nach Paraguay, was seine Frau ganz und gar nicht gefällt. 1959 stirbt Mengeles Vater, dem Begräbnis bleibt der Flüchtige fern. 1960 werden dem israelischen Geheimdienst Mossad Informationen über Eichmann zugespielt, die dazu führen, dass der letzte verbleibende Großfunktionär des Dritten Reichs entführt, ihm in Israel der Prozess gemacht und er schließlich 1962 hingerichtet wird. Als auch gegen Mengele ein Haftbefehl erlassen wird, wendet sich auch Martha ab und geht ihrem Sohn Karlheinz zurück nach Deutschland. Mengele flieht weiter nach Brasilien, wo er auf der Farm der ungarischen Auswanderer Geza und Gitta Stammer unterkommt, die anfangs nicht viele Fragen stellen.

Die Schlinge zieht sich allerdings zu, als der ebenfalls inhaftierte Willem Sassen Mengele an den Mossad verrät und Geza Stammer seinen Gast in einer Zeitung als ehemaligen KZ-Arzt erkennt. Aber die Gier der Stammers, die sich Mengele nun als goldenes Kalb halten und immer neue Geldforderungen an die Familie stellen, und innenpolitische Verwicklungen in Israel führen dazu, dass die Tarnung weiter hält – wobei Mengele in der Einsamkeit des Dschungels immer weiter in Wahnvorstellungen und Paranoia abrutscht…

Fast schon wie ein Kriminalroman entfaltet sich in dieser Graphic Novel atemlos die Flucht eines der abartigsten Verbrecher, den die Welt jemals gesehen hat: in zwei Teilen erleben wir, wie der „Todesengel von Auschwitz“ (den die Thrasher von Slayer mit „Angel of Death“ drastisch inszenierten), dessen „Experimente“ an Menschenverachtung nicht zu überbieten waren und hier in einigen Flashbacks vorübergeistern (Details seien hier ausgespart, das ist starker Tobak), anfangs als „Pascha“ im Kreise von Gleichgesinnten lebte, die in Argentinien nichts zu befürchten hatten und selig von einer Rückkehr nach Deutschland und einem „Vierten Reich“ träumten.

Im Zuge des Regimewechsels und der zunehmenden Verfolgung durch deutsche und internationale Kräfte rutscht Mengele in Teil 2, „Die Ratte“, immer weiter ab und überlebt im Dschungel nur dank der Zuwendungen seiner Familie, die der Helfershelfer Sedlmeier regelmäßig überbrachte. Dessen betrunkenen Prahlereien ist es auch zu verdanken, dass die Sache Anfang der 80er doch noch aufflog, als Mengele allerdings schon längst unter seltsamen Umständen in Brasilien ertrunken war. Erschreckend dabei ist nicht nur die Tatsache, dass der weltweit bekannte Landmaschinenhersteller, dessen Produkte man teilweise heute noch bestaunen kann, dem Sohn bis zum Schluss die Treue hielt: auch der nahtlose Übergang von Staatsdienern und Wissenschaftlern in die Strukturen der jungen Bundesrepublik, den Mengele aus der Ferne neidvoll verfolgt, verstört immer wieder aufs Neue.

Von der Struktur her damit ähnlich wie die ebenso spektakuläre Jagd nach Klaus Barbie, die Pascal Bresson und Sylvain Dorange in ihrer Graphic Novel „Beate und Serge Klarsfeld: Die Nazijäger“ ausbreiten, brilliert diese Umsetzung nicht zuletzt optisch durch einen an Hugo Pratt angelehnten, teilweise äußerst symbolischen Stil. Da durchziehen z.B. die schwarzen Rauchschwaden aus den Verbrennungsanlagen in Auschwitz leitmotivisch auch die Szenen, die in der Gegenwart spielen, und Mengeles zunehmende Wahnvorstellungen spiegeln sich in alptraumhaften Szenen. Auch in der finalen Konfrontation mit seinem Sohn Rolf zeigt sich Mengele keine Spur geläutert, sondern propagiert unverändert Theorien von Rassenreinheit und Deutschtum. Somit eine rundum so spannende wie verstörende Reise in eines der erschreckendsten Kapitel der jüngeren deutschen Historie. (hb)

Das Verschwinden des Josef Mengele
Text & Story: Matz, nach Olivier Guez
Bilder: Jörg Mailliet
192 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
25 Euro

ISBN: 978-3-95728-756-4

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