Kalifornien, Mitte der 1890er Jahre. Hier lebt seit kurzem die Londonerin Edith Womble, die auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann gerade einen Ozean und einen Kontinent durchquerte. Jetzt lernt sie den attraktiven Hans kennen und lieben. Sie folgt ihm nach kurzem Zögern in dessen Heimat in die Klondike Region nach Alaska. Da dort gerade das Goldfieber grassiert, findet das Paar schnell Arbeit: Gemeinsam mit drei anderen Goldwäschern suchen sie in der Wildnis einige Tagesmärsche von Skagway entfernt nach dem Edelmetall, das zu gleichen Teilen aufgeteilt werden soll. Trotz der Entbehrungen ist Edith mit Hans glücklich. Bis es jäh zur Katastrophe kommt. Denn nach einem frühen wie plötzlichen Wintereinbruch zeigt Michael Dennin, einer der „Kollegen“, sein wahres Gesicht und richtet ein Blutbad an. Und setzt damit eine Kette von alptraumhaften Ereignissen in Gang, in deren Mittelpunkt Edith steht…
Was tun mit einem Mörder, weit weg von jeglicher Zivilisation und abgeschnitten von der Außenwelt? Während Hans zum Entsetzen Ediths mit dem schwer verletzten Dennin kurzen Prozess machen will, besteht diese auf eine ordentliche Verurteilung, auch wenn deren Ausgang klar ist. Nur: wie soll das hier draußen in der Wildnis funktionieren? Im ersten Teil seines abgeschlossenen Bandes, der an die Alaska-Geschichten von Jack London erinnert (Wolfsblut, Ruf der Wildnis – siehe auch das Zitat auf dem Backcover), präsentiert Autor und Zeichner Dominique Monféry ein brisantes, fasziniert konstruiertes, moralisches Dilemma, eine untragbare Situation, aus der es keinen befriedigenden Ausweg geben kann. Drei Personen auf engstem Raum, eine davon ein eiskalter Mörder. Die entgegengesetzten Auffassungen diesem gegenüber belasten zusätzlich das Verhältnis zwischen Edith und Hans, das man bald getrost als zerrüttet beschreiben kann.
Doch das ist erst der Anfang. Notgedrungen müssen sich Edith und Hans zusammenraufen, denn nach dem tragischen Kammerspiel in der Blockhütte folgt eine weitere lebensgefährliche Episode mit ganz anderem Naturell, nämlich der lange, einsame Weg zurück in die Zivilisation, den gefrorenen Fluss hinab nach Skagway. Immer begleitet von Streitigkeiten und wachsendem Misstrauen füreinander und einem hartnäckigen Wolfrudel, das sich cleverer als die Menschen erweist und immer mehr Furcht und Scheu zu verlieren scheint. Danach – so viel sei hier verraten – folgt eine weitere, kürzere Episode mit der Ich-Erzählerin Edith im Mittelpunkt, bis es zum Schluss kommt. Der wirkt dann als harter Kontrast zur vorherigen Handlung mit ihrem dramatischen Geschehen ein Stück weit überhastet und schon fast unwirklich – aber er sei Edith gegönnt…
Der Zeichenstil, den Dominique Monféry hier präsentiert, unterscheidet sich teils massiv von seinen Vorbänden, die ebenfalls bei Splitter (bzw. toonfish) erschienen: Sowohl der Zweiteiler „Tin Lizzie“ als auch der One-Shot „Evil Road“ kamen, was Figuren und Gesichter betrifft, mit funny-artigen Zügen daher, wobei „Evil Road“ auch konventioneller gestaltet war, hinsichtlich Einsatz von Tusche und Farben. „Ein unerwarteter Todesfall“ (eigentlich müsste der Titel im Plural stehen) ist in jeder Beziehung realistisch gezeichnet. Eindringliche, atmosphärisch dicht gestaltete, fast gemalt erscheinende Bilder, die an den Stil von Guillaume Sorel erinnern, prägen den Band, der mit seinen gediegenen Farben gleichermaßen die Schönheit und den Schrecken der Winterlandschaften zeigt, oft filmisch inszeniert, mit einem zusätzlichen Kontrast aus Schnee, Finsternis und Feuer (siehe oben). Worte entfallen, wo sie nicht benötigt werden. Dann lässt Monféry nur die Bilder sprechen. Und das macht er vorzüglich. (bw)
Ein unerwarteter Todesfall
Text & Bilder: Dominique Monféry
96 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
22 Euro
ISBN: 978-3-98721-139-3
