Motörhead (Cross Cult)

August 14, 2023
Motörhead – Der Aufstieg der lautesten Band der Welt (Cross Cult)

Vierzig Jahre „We are Motörhead – and we play Rock’n’Roll!” Dieser Ruf schallte Dekaden durch ungezählte Hallen und über ungezählte Festival-Gelände, bis am 28.12.2015 Ian „Lemmy“ Kilmister unsere Welt verließ, um sich dem Heaven’s Orchestra anzuschließen. Für viele war und bleibt Lemmy die Inkarnation des Rocks überhaupt: mit maßgefertigten Cowboy-Stiefeln, Militärhut und Nietengürtel, den Rickenbacher-Bass tief hängend, das Mikro immer von oben herunter gehängt, krächzte er sich durch die räudigen Nummern, die er mit seiner minimalistisch besetzten Kombo (Gitarre, Bass, Schlagzeug – wer braucht mehr?) kredenzte, die Stimme gezeichnet von Kippen, der täglichen Ration Bourbon und natürlich jeder Menge bewusstseinserweiternder Substanzen, die er vor allen im den 70ern und 80ern zu sich nahm.

In ihrer akribisch recherchierten Graphic Novel zeichnen David Calcano und Mark Irwin den „Aufstieg der lautesten Band der Welt“ nach, von Lemmys Anfängen in Stoke on Trent bis hin zu den Aufnahmen zum dritten Motörhead-Album „Ace of Spades“, das im Jahr 1980 den kommerziellen Durchbruch markierte. Die alleinerziehende Mutter unterstützt früh das Bestreben des jungen Ian, der sich Gitarrenkünste aneignet, nicht zuletzt um sich an Mädchen ranmachen zu können. In London wird der Rumtreiber Roadie von Jimi Hendrix, wo er erstmals das exzessive Leben eines Rockstars kennenlernt. Über den Kumpel Dikmik, der bei der Space Rock Gruppe Hawkwind eine Art Keyboard spielt, gerät Lemmy eher zufällig in die Rolle des Bassisten, die er zunehmend kompetent ausfüllt.

Hawkwinds Konzerte gleichen eher Happenings als Musikevents, man ist im kollektiven Drogenrausch, aber mit „Silver Machine“, das Lemmy beherzt einsingt, gelingt der Band ein veritabler Hit. 1975 bleibt Lemmy auf einer Tour an der kanadischen Grenze hängen – er wird mit Drogen erwischt, was die Band mit Rauswurf quittiert. Zurück in London, schäumt Lemmy und will es seinen ex-Kollegen ordentlich heimzahlen. Der Manager Doug bucht ihn für einen Gig, und in Windeseile stellt Lemmy eine Band zusammen. Mit Larry Wallis an der Gitarre und Lucas Fox an den Drums entsteht damit das erste LineUp, das als Debutsong den Titel „Motorhead“ aufnimmt, einen Song, den Lemmy noch für die B-Seite der Hawkwind-Single „Kings of Speed“ geschrieben hatte. Im Vorprogramm von Blue Öyster Cult geht man auf eine kleine Tournee – damit bleibt offen, wer denn den berühmten Metal-Umlaut erfunden hat, den neben BÖC auch Mötley Crüe und eben federführend Motörhead einführten.

Die Presse ist vernichtend und bezeichnet Lemmys Kombo schnell als schlechteste Band der Welt, aber der Chef von United Artists sieht das Potenzial und schickt die Jungs ins Studio, wo Drummer Lucas Fox unter Beweis stellt, dass er mit Lemmys Speed-Konsum nicht mithalten kann. Als Ersatz holt man sich den etwas rüpelhaften Phil „Philthy“ Taylor, der von seinem Vater das erste Schlagzeug als Geschenk bekam, damit er lieber auf Drums anstelle als Kumpane eindrischt. Taylor erweist sich als Kraftpaket, der trotz gebrochener Hand auftritt und in Eigenbau eine zweite Bassdrum zu seinem Kit bastelt, mit der er dann den legendären Double-Bass-Beat entwickelt, mit dem der Motörhead-Titel „Overkill“ zu einem der ersten Speed-Metal-Songs überhaupt avanciert. Larry Wallis erweist sich ebenfalls als unsicherer Fahrensmann und wird ersetzt durch „Fast“ Eddie Clarke, der im Dayjob lange Zeit noch Anstreicher ist.

Die Platte wird damit erfolgreich reingerumpelt, aber als das Label hört, was die drei Rabauken da fabriziert haben, ist man sich einig: so einen Müll will keiner hören. Lemmy lässt sich nicht unterkriegen und angelt sich beim Label Chiswick einen Deal für eine Single, worauf man kurzerhand das ganze Debütalbum „Motörhead“ einspielt und 1977 damit auf Tour geht. Die Presse ist nach wie vor miserabel, die Scheibe verkauft sich leidlich, und man will schon das Handtuch werfen, als das Label Bronze Records nochmals die Chance bietet, eine Single aufzunehmen. Die Wahl fällt auf das Richard-Berry-Cover „Louie Louie“, eine alte Rock’n’Roll-Nummer aus den 50ern, mit der Motörhead dann auch erstmals in der Musiksendung „Top of the Pops“ auftreten dürfen.

Motörhead – Der Aufstieg der lautesten Band der Welt (Panel)
The Ace of Bass

Ab dann nimm die Karriere stetig an Fahrt auf: das zweite Album „Overkill“ klettert auf Platz 23 der Charts, Motörhead touren weilweise sogar zusammen mit den alten Rivalen von Hawkwind, und mit der dritten Scheibe „Bomber“ schaffen es Lemmy und seine Kumpel sogar bis auf Platz 12 der Charts und können erstmals halbwegs von ihren Einnahmen leben. Mit einer spektakulären Bühnenshow inkl. Beleuchtung in Bomber-Form gehen sie auf Tour und räumen ab, während man beim Saufen, den Drogen und der Damenwelt nichts auslässt. Nach einer Live-EP gehen Motörhead 1980 wieder ins Studio und starten die Aufnahmen zum neuen Album, das unter dem Titel „Ace Of Spades“ endgültig den Durchbruch bringen wird…

Zeitlebens hat sich Lemmy dagegen gewehrt, seine Musik als Heavy Metal bezeichnen zu lassen – man spiele einfach Rock’n’Roll, war immer sein Credo. Das scheint zu stimmen, immerhin ist Motörhead eine der ganz wenigen Kombos, die in Metal, Rock und Punk-Kreisen gleichermaßen populär ist. Konzerte von Motörhead waren immer kompromisslos, voll auf die 12 und ehrlich gesagt auch nicht gerade abwechslungsreich – aber die schiere Präsenz des Grandsigneurs, der scheinbar unzerstörbar war, und auch seiner späteren langjährigen Mitstreiter Phil Campbell und Mikkey Dee waren immer Grund zur Begeisterung.

Lemmy war und ist Kult, von seinem stets propagierten Junggesellendasein (das ihn nicht daran hinderte, zwei Söhne zu haben), seinem Abhängen in den Bars des Sunset Strip, wo man ihn jederzeit ansprechen konnte, der Freundschaft mit Bands wie Saxon und Girlschool, seiner strikten Ablehnung von Heroin (seinen eigenen Worten nach begründet im frühen Tod seiner einzigen großen Liebe) über seine Weigerung, in Saus und Braus zu leben (warum denn ein großes Haus, so begründete er das stets, immerhin könne er sich ja maximal in einem Raum gleichzeitig aufhalten) bis hin zum unabschätzbaren Einfluss, den er auf zahllose junge Musiker, darunter auch einen Fanboy namens Lars Ulrich, der ihm in London auf die Pelle rückte – Lemmy ist ein Stück Musik- und Kulturgeschichte, an dem sich vor allem die bürgerliche Presse die Zähne ausbiss.

Von den Verrissen der Anfangszeit changierte der Feuilleton in Lemmys letzten Jahren hin zu einer Art widerwilligen Verehrung dieses Symbols der Unbeugsamkeit und Geradlinigkeit, die teilweise kuriose Züge annahm, etwa wenn Lemmy bei Lanz auftrat oder im Interview mit der guten alten Süddeutschen Abba lobte, lauthals „Fernando“ anstimmte und fragte, „was zum Teufel der Typ denn nachts am Rio Grande getrieben habe.“ Fast vergessen wurde da, dass Lemmy auch die leiseren Töne konnte – immerhin ist einer der besten Motörhead-Songs die elegische Kriegs-Ode „1916“.

Die Graphic Novel greift in erster Linie auf Lemmys Biografie „White Line Fever“ zurück, konzentriert sich auf Schlaglichter der illustren Karriere und endet durchaus sinnigerweise mit dem Live-Album „No Sleep Till Hammersmith“, das auf der „Ace of Spades“-Tour 1981 aufgenommen wurde, was die klassische Bandphase mit dem bekanntesten Line Up neben Campbell und Dee beschloss. Optisch gehalten in atmosphärischem Schwarz-Weiß, sind die Protagonisten allesamt gut getroffen, von Lemmys legendären Warzen bis hin zu Philthys lustiger Igelfrisur. So erlebt man auf 144 Seiten einen so unterhaltsamen wie informativen Ritt durch die Rockgeschichte der späten 70er und frühen 80er, in der eine anfangs belächelte Rumpelkombo zur Institution aufstieg. Bei Cross Cult erscheint der Band hochwertig aufgemacht als querformatiges Hardcover, das definitiv Lust darauf macht, wieder mal reinzuhören, wenn Lemmy krächzt: „If you like to gamble, I tell you I’m your man…“ Ach ja, die „Dead Man’s Hand“, die Lemmy in „Ace of Spades“ bekommt, ist das Blatt, das der Legende nach Wild Bill Hickock auf der Hand hatte, als ihn das Schicksal ereilte. Das sagte jetzt aber Nuff! Rock’n’Roll! (hb)

Motörhead – Der Aufstieg der lautesten Band der Welt
Text & Story: Mark Irwin, David Calcano
Bilder: Juan Riera, Alberto Belandria, Jorge Mansilla
144 Seiten in Schwarz-Weiß, Hardcover im Querformat
Cross Cult
30 Euro

ISBN: 978-3-96658-927-7

Tags: , , , , , , , , , , ,

Comments are closed.