Ohne Furcht und Tadel (Splitter)

Juli 14, 2023
Ohne Furcht und Tadel (Splitter Verlag); Neil Gaiman & Colleen Doran

„Zwei Liebesromane und den Heiligen Gral, bitte.“ Solche Tage soll es ja geben: Da geht man nichtsahnend in einen Secondhandladen, um sich eine Kleinigkeit zu gönnen und findet mal eben den Heiligen Gral. Noch dazu zum Spottpreis. So passiert es der rüstigen Dame namens Mrs. Whitaker irgendwo in England. Zuhause reinigt sie das Gefäß, das eher durch schlichte Eleganz als durch Opulenz besticht (aber das wissen wir ja spätestens seit Indiana Jones 3) und stellt es als Deko auf den Kamin. Ende der kuriosen Story? Nein. Denn dann klingelt es an Mrs. Whitakers Tür. Vor ihr steht samt Pferd ein edler Ritter in schimmernder Rüstung, der sich als Sir Galahad von der Tafelrunde vorstellt. Und der von König Arthur höchstselbst beauftragt wurde, den Gral zu finden.

Galahad, übrigens Ritter Lancelots Sohn, ist sogleich sichtlich betört von dem heiligen Kelch auf dem Kaminsims, wird dabei aber schnell ausgebremst. Denn Mrs. Whitaker möchte das unschätzbar wertvolle Artefakt gerne behalten und schlägt den Handel – Galahad verspricht ihr Gold – freundlich aber bestimmt aus. Doch der Ritter lässt nicht locker und wird bald darauf wieder bei der alten Dame vorstellig, diesmal mit noch etwas wertvollerem im Gepäck, das er ihr im Tausch gegen den Gral anbietet. Nämlich das prächtige, mythische Schwert Balmung, hergestellt von Wieland dem Schmied. Aber – das vorweg – auch dies wird nicht Galahads letzter Besuch bei Mrs. Whitaker bleiben…

Nach „Snow, Glass, Apples“ veröffentlicht der Splitter Verlag mit „Ohne Furcht und Tadel“ eine weitere Comic-Adaption einer Kurzgeschichte von Neil Gaiman, die von Colleen Doran gezeichnet wurde (sie war auch schon an der Sandman-Serie beteiligt). Das wieder im Rahmen der „Neil Gaiman Bibliothek/Library“, von der bei uns aktuell auch diverse Titel beim Dantes Verlag vorliegen (früher teilten sich Carlsen und Panini die lose Reihe). Die Story ist freilich reichlich skurril. Das beginnt bei dem unspektakulären Gralsfund (und Mrs. Whitaker weiß sofort, was sie da vor sich sieht) und endet beim Auftauchen des Gralsritters Galahad, der buchstäblich aus der Zeit gefallen zu sein scheint, samt dessen wundersamen, fantastischen Gaben. Und niemand stört sich an den seltsamen Begegnungen, niemand wundert sich. Man bleibt vielmehr britisch höflich und verhandelt.

Neil Gaimans Kurzgeschichten muten sich gerne an wie kleine gekonnte Fingerübungen: er greift auf Alltägliches und Bekanntes zurück, vermischt oder kombiniert es mit phantastischen Motiven und dreht so erfolgreich an unerwarteten Stellschrauben, wodurch etwas ganz Neues entsteht, gerne in Verbindung mit einem Perspektivwechsel (wie Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes und Lovecrafts Kreaturen in „Eine Studie in Smaragdgrün“). Hier sind das eine verwitwete Rentnerin und ein Ritter der Tafelrunde. Im Original heißt die gleichsam humor- wie gefühlvolle Story „Chivarly“, also Ritterlichkeit. Wer wird hier ritterlicher sein und am Ende nachgeben?

Im Gegensatz zu „Snow, Glass, Apples“ schlägt Colleen Doran hier sanftere Töne an, was die Optik betrifft. Ihre Zeichnungen erscheinen zart und fein, in einem butterweichen Aquarell-Stil gehalten, immer wieder von ganzseitigen ornamentalen Tableaus durchzogen. Die Gespräche zwischen Galahad und Mrs. Whitaker stehen dabei gerne im Fokus – sie erzählt vom Krieg und ihrem Mann – er von seiner Familie, jeweils in passenden Seiten-Layouts. Am Schluss steht noch ein feiner, verschmitzter Gag, ehe Colleen Doran näher auf die Entstehung des Bandes eingeht (wie beispielsweise die künstlerischen Einflüsse oder die penible Recherchearbeit, die durch COVID massiv erschwert wurde), gefolgt von einigen ihrer Skizzen und Entwürfen. „Die Trollbrücke“, eine weitere Gaiman-Adaption von ihr, erscheint im September. (bw)

Ohne Furcht und Tadel
Text & Story: Neil Gaiman
Bilder: Colleen Doran
80 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-98721-138-6

Tags: , , , , , , , , ,

Comments are closed.