Paul zu Hause (Edition 52)

Januar 11, 2023
Paul zu Hause (Edition 52) von Michel Rabagliati

Alles fließt. Natürlich auch das Leben. Wir treffen Paul im August 2012 und begleiten ihn bis in den Winter hinein bei seinem Alltag. Paul ist 51 Jahre alt und Frankokanadier. Er lebt getrennt, hat eine erwachsene Tochter, eine Schwester und kümmert sich um seine kranke Mutter. Sein Geld verdient er als freiberuflicher Comiczeichner. Das Alleinsein macht ihm zu schaffen – eine Beziehung ist weit und breit nicht in Sicht. Überhaupt halten sich Kontakte zu seinen Mitmenschen in Grenzen. So meidet er seinen Nachbarn Tonio, einen alten Italiener, der sich pedantisch um seinen Garten kümmert. Ab und zu sieht er seine Tochter Rose, was ihm einige schöne und unbeschwerte Momente verschafft, kleine Oasen von Glück und Zufriedenheit. Die freilich nur kurz währen. Paul nimmt Antidepressiva und leider unter Schlafapnoe. Sein Genick schmerzt beim Zeichnen, die Arztbesuche mehren sich.

In seinen stark autobiographisch geprägten Paul-Graphic Novels (ein erster Band – Pauls Ferienjob – erschien bereits 2008 bei Edition 52) schildert der in Montreal lebende Autor und Zeichner Michel Rabagliati mit Akribie, genauen Beobachtungen und viel Liebe zum Detail die Erlebnisse und das Leben seines Alter Egos. Paul hat sein Leben gerade noch so im Griff. Einsamkeit und Zipperlein plagen ihn. Sein Garten verwildert, wie auch seine Beziehungen zu seiner Familie. Die Mutter lebt in einer Seniorenresidenz, das Verhältnis ist eher kühl, zum Vater besteht kein Kontakt, zur Tochter immerhin noch ab und zu. Und seine Ex-Frau meidet ihn offenbar. Paul ist sich seiner Situation durchaus bewusst, aber er mäandert dennoch weiter durch seinen Alltag. Ausbrüche, oft nur halbherzig versucht, enden meist bereits im Ansatz. Probleme (wie die Reinigung seines dreckigen Pools) werden großzügig verschoben.

Alltag bedeutet auch, dass einem als Leser viele der alltäglichen Situationen vertraut sind oder man sich darin wiedererkennt, oder einige davon selbst durchlebt hat. Der Schmerz des Verlustes, das Erwachsenwerden der Kinder, oder sei es nur fehlende Selbstmotivation. Rabagliatis Schilderungen sind dabei alles andere als langweilig. Er lockert auf, bedient sich diverser Stilmittel. So werden einige Personen genau und absolut subjektiv, wie auch mit Ironie vorgestellt: der pedantische Nachbar, der Zahnarzt (der passenderweise Dr. Folter heißt) und natürlich Pauls Mutter, deren Leben in einem längeren Abriss beschrieben wird. Andere Figuren, wie die Tochter muss man sich „erarbeiten“. Eine von Pauls Eigenarten ist seine Beschäftigung und das Erkennen diverser Schriftarten, was immer wieder thematisiert wird. Optisch sind die Schwarz-Weiß Zeichnungen in einem skizzenhaften Tuschestrich gehalten (v.a. die Personen, während Umgebungen detailliert dargestellt sind), der typisch für Graphic Novels ist.

Immer wieder nutzt Michel Rabagliati, der bereits 2001 den Harvey Award gewann, eine starre Panelaufteilung, die Paul bei einem Schulvortrag selbst beschreibt und als „Waffeleisen“ (franz. le gaufrier) bezeichnet. Das sind Layouts mit gleich großen Panels, oft Szenen, in denen Paul sinniert, oder langsame, ähnliche Abläufe geschildert werden, wie beispielsweise die Signierstunde auf der Buchmesse in Montreal oder seine Arbeit am Zeichentisch. Originell sind zwei Parallelmontagen, in denen zwei komplett unterschiedliche Situationen miteinander kombiniert werden, beide jeweils schmerzhaft, nur auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Am Ende mag der Schnee die seelischen Wunden bedecken oder auch nur wieder verschieben. Und das Leben fließt unbarmherzig weiter. (bw)

Paul zu Hause
Text & Bilder: Michel Rabagliati
208 Seiten in Schwarz-Weiß, Softcover
Edition 52
25 Euro

ISBN: 978-3-948755-096

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