Daphne Byrne – Besessen (Panini)

Mai 10, 2021
Daphne Byrne - Besessen (Panini Comics)

Eigentlich will sie nur geliebt werden. Doch im New York des Jahres 1886 gilt Daphne Byrne, ein junges, intelligentes Mädchen als Außenseiterin. Sie hat keine Freunde, in der Schule tuscheln ihre Klassenkameradinnen über sie. Die Mutter ist reserviert und überlässt die Erziehung der jungen Dame dem ältlichen Dienstmädchen Nonie. Nur mit ihrem Vater verstand sich Daphne bestens. Doch der ist tot, unehrenhaft gestorben in einer Opiumhöhle. Daphne vermisst ihren Vater schmerzlich. Auch ihre Mutter, die nun vor dem finanziellen Kollaps steht, will mit dem Tod ihres Mannes nicht abschließen und besucht daher regelmäßig die Séancen von Mrs. Swarthmore, um mit dessen Geist in Kontakt zu treten.

Dass die nichts als Schabernack sind, wird jedem außer der Mutter, deren Schmerz hier schamlos ausgenutzt wird, schnell klar. Zudem zieht Mrs. Swarthmore Daphnes Mutter noch die letzten, eigentlich bitter benötigten Groschen aus der Tasche. Als Daphne von ihrem Vater träumt, erscheint ihr ein Junge, namenlos und endlich ein Gleichaltriger, der anständig und freundlich erscheint. Bald wird der Junge auch in der Realität ihr ständiger Begleiter und sucht das Gespräch mit dem Mädchen. Und gemeinsam mit dem Jungen scheint Daphne ihre monströsen Gaben zu entdecken, mit denen sie ihre Mitmenschen, die ihr gegenüber nur Niedertracht zeigen, bestrafen kann. Auch Mrs. Swarthmore, doch deren Machenschaften sind noch dämonischer als vermutet…

Nüchtern gesehen behandelt der Band die Nachwirkungen und Folgen eines Familiendramas. Daphne, fast noch ein Kind, wird mit dem Tod des Vaters der einzige Seelenverwandte genommen. Die Mutter, die die Endgültigkeit des Todes ihres Mannes nicht akzeptieren will, steht vor dem Nichts. Gesellschaftlich drohen ihr Ächtung und Niedergang, das Geld wird knapp und eigentlich bräuchte sie einen neuen Versorger, was Mrs. Swarthmore natürlich auch bewusst ist. Und Daphne? Sie ist so eigen wie intelligent. Und muss sich ständig erwehren. In der Schule, in der Familie, bei den Séancen. Und auch ihr einziger vermeintlicher Verbündeter, Mister Brooke, der ebenfalls die Séance als Humbug entlarvt, wird sie noch bitter enttäuschen.

Und da kommen die Dämonen ins Spiel. Und mit ihnen ihr neuer imaginärer (?) Freund, der zwar auch nerven mag, der Daphne aber zu einem guten Teil lenkt, damit ihre dämonische Ader freilegt und ihr so unverhofft die Möglichkeit zur Rache eröffnet. Offensive und brutale Rache an jenen, die Daphne enttäuschen, die sie gängeln, die ihr Unrecht tun oder es wollen. Hier verschwimmen dann geschickt die Grenzen zwischen Realität und (Alb)Traumvorstellung. Immer wieder bleibt es der Interpretation des Lesers und Betrachters überlassen, zu entscheiden, was real ist und was nicht. Und wie intensiv damit Daphnes Fähigkeiten zu Tage treten.

Fest steht, dass kaum ein anderer als Batman-Veteran Kelley Jones diese düstere Horror-Mär so in Szene zu setzen vermochte. Der dunkle und bedrohliche Grundtenor wird verstärkt durch ungewöhnliche, bisweilen verstörende Perspektiven (wie der Blick aus einem Kanaldeckel heraus), die nichts Gutes verheißen. Immer wieder formen Decken und Kleider Fratzen und Gesichter bis sich der Horror immer mehr Bahn zu brechen scheint. Fragt sich dann noch, wer denn eigentlich besessen ist. Und wovon. Die Mutter von der Vorstellung, ihren toten Mann zu kontaktieren? Mrs. Swarthmore, deren Fanatismus ein ganz anderes Ziel verfolgt? Oder doch nur Daphne, die sich auf einen übersinnlichen, unkontrollierbaren Feldzug begibt und einfach nur Böse ist wie Damien in „Das Omen“?

„Daphne Byrne“ erweist sich als überdurchschnittliche, gleichsam facettenreiche Gothic-Horror-Story, die durch den unnachahmlichen, finsteren, an Bernie Wrightson erinnernden Zeichenstil von Batman-Veteran Kelley Jones massiv aufgewertet und veredelt wird. Der Band erscheint bei Panini im DC Black Label als Teil der Hill House Comics („Ein Korb voller Köpfe“), die von Stephen Kings Sohn Joe Hill (u.a. „Locke & Key“, „Das Cape“, „Wraith“) betreut und/oder geschrieben werden. Eine Galerie mit Variant-Covern, sowie Interviews mit Theater- und Drehbuchautorin Laura Marks und Zeichner Kelley Jones beschließen den Band, der auch als limitierte Hardcover-Version verfügbar ist. (bw)

Daphne Byrne – Besessen
Text: Laura Marks
Bilder: Kelley Jones, Michelle Madsen (Farben)
164 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
19 Euro

ISBN: 978-3-7416-2247-2

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