Quintett Gesamtausgabe, Band 2 (Comicplus)

Februar 1, 2019
Quintett Gesamtausgabe, Band 2 (Comicplus)

Pavlos, ein Städtchen in Südmazedonien im Jahr 1916. Während des Ersten Weltkrieges verwaltet hier ein Teil der französischen Orient-Armee eine neutrale Zone. Zur Zerstreuung und Unterhaltung der Soldaten hat sich ein musikalisches Quintett gebildet, das sich auf den hohen Besuch von General Sarrail vorbereitet. Während dieser Tage erlebt jedes Mitglied des Quintetts seine eigene, tragische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund von nicht minder tragischen Ereignissen, deren wahre Natur erst nach und nach ans Licht kommt – für den Leser. Die Geschichte der Dora Mars, die Sängerin des Quintetts, die unglücklich in einen Flieger verliebt ist, und die von Violine-Spieler Leutnant Alban Méric, der ein geheimes Verhältnis mit einem griechischen Burschen hat, lernten wir im ersten Band der Gesamtausgabe kennen.

Band 2, der wieder zwei Einzelalben beinhaltet, startet mit dem Flugzeugmechaniker Elias Cohen. Elias spielt Klarinette und hat ein Auge auf die hübsche Aleka geworfen, die auf dem Markt Feta verkauft. Aleka lebt bei ihrem Onkel, der sie regelmäßig misshandelt. Elias konfrontiert den Onkel, macht aber in seiner Naivität alles nur noch schlimmer, was er danach an der übel zugerichteten Aleka erkennt. Auch seine Hilferufe in Richtung Vorgesetze verhallen ungehört. Man mische sich nicht in die Angelegenheiten der Landbevölkerung ein. Elias‘ Gefangennahme durch die Deutschen (siehe Band 1) verhindert, dass er sich um Aleka weiter kümmern kann. Bis nach seiner Rückkehr die Situation eskaliert und Elias eine große Dummheit begeht…

Nafsika Vasli arbeitet im örtlichen Wirtshaus, ist intelligent und spricht französisch. Im Quintett spielt sie die Tambura (eine Art Laute). Sie liebt den windigen Stelios, der einerseits mit den Deutschen sympathisiert, andererseits aber mit den Franzosen Geschäfte macht, auch gerne am Rande der Legalität. Als Hauptmann Drecq ihm anbietet, den Transport eines Klosterschatzes zu überfallen, schlägt Stelios ein, obwohl er Drecq misstraut. Die Verlockung auf ein sorgenfreies Leben gemeinsam mit Nafsika ist zu groß. Natürlich geht der Überfall schief (das wissen wir bereits), endet erst in einem Massaker, dann in Verrat, denn Drecq erweist sich als hinterhältiger als gedacht. Nun liegt es an Nafsika, Rache zu üben…

Die Handlung findet auf drei Ebenen statt. Zuerst die individuellen Liebesgeschichten der Protagonisten. Jeder und jedem ist ein Band gewidmet. Sie alle enden tragisch, oder zumindest mit einem vertagten, ungewissen Happy End. Dann gibt es die übergeordneten Ereignisse, die in jedem Band angesprochen werden oder zumindest eine Rolle spielen und deren Hintergründe sich immer mehr aufhellen: Der Überfall auf den Transport, die Gefangennahme durch die Deutschen, der Besuch des Generals. Hier berühren oder kreuzen sich die Geschichten der Mitglieder des Quintetts. Und zum Schluss haben wir noch die Rahmenhandlung, die jede Episode eröffnet, in der sich (noch) Unbekannte offenbar rückblickend über die Ereignisse in Pavlos unterhalten und die das große Ganze, das noch zu offenbaren ist, kennen.

Wie perfekt und sorgfältig Autor Frank Giroud seine Geschichte im Griff hat und konstruiert, zeigt sich dabei immer wieder dem verblüfften und erstaunten Leser. So wissen wir bereits aus Band 1, dass Elias ein Auge auf Aleka geworfen hat und einen Mord begehen wird. Jetzt erfahren wir, wie es dazu kam. Dabei entstehen neue Fragen: wer ist die zweite Leiche, die im Brunnen entdeckt wird? Wer sabotierte das Flugzeug, mit dem Flamant abstürzte? Immer wieder blättert man zurück zu einzelnen Panels oder Ereignissen, immer wieder entdeckt man Querverweise auf die anderen Episoden (in jeder sieht man einen todunglücklichen Elias alleine im Wirtshaus sitzen) und staunt über das raffinierte Story-Konstrukt, das den Leser für sich einnimmt.

Die Geschichte von Elias Cohen wird von Steve Cuzor in Szene gesetzt, der auch bei uns kein Unbekannter mehr ist. Vor kurzem erschien sein beeindruckender Band „Ein Stern aus schwarzer Baumwolle“ (All Verlag) und auch seine beiden Reihen „Blackjack“ und „O’Boys“ liegen bei Splitter, bzw. Ehapa vor. Cuzor hat sich dem klassischen realistischen Westernstil verschrieben (er lebte auch einige Zeit in den USA) und zeichnet ganz in der Tradition von Jean Giraud (Blueberry) oder François Boucq (Bouncer). Etwas zurückhaltender und kühler erscheinen dagegen die Bilder von Jean-Charles Kraehn, der die Episode mit Nafsika inszeniert. Kraehn ist v.a. durch seine Serie „Tramp“ (ebenfalls als Gesamtausgabe bei Comicplus) bekannt, die er gemeinsam mit Zeichner Patrick Jusseaume realisierte und die er nach dessen Tod auch fertig zeichnete.

Bisher also vier Quintett-Episoden, von vier Zeichnern gestaltet. So wie sich die einzelnen Sichtweisen und Blickwinkel der Hauptakteure unterscheiden, variieren auch die verschiedenen Interpretationen der Zeichner (Elias Cohen trägt bei Steve Cuzor die Gesichtszüge von James Cagney). Star ist dabei ganz klar der leider bereits verstorbene Autor Frank Giroud (u.a. Zehn Gebote, Azrayen‘), der in der Gesamtstory jederzeit die Übersicht behält und keinerlei logische Lücken in dem komplexen Geflecht an Ereignissen und Beziehungen erkennen lässt. Beeindruckend und meisterlich. Der Sekundärpart bringt neben den fiktiven Biografien der Hauptpersonen, die sich Giroud ausdachte, ein Interview mit dem Autor und diverse Hintergrundmaterialen. Der abschließende Band 3 mit der finalen Auflösung ist in Vorbereitung. (bw)

Quintett Gesamtausgabe, Band 2
Text: Frank Giroud
Zeichnungen: Steve Cuzor, Jean-Charles Kraehn, Giulio De Vita
144 Seiten in Farbe, Hardcover
Verlag Sackmann & Hörndl
34 Euro

ISBN: 978-3-89474-305-5

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