Die Schachnovelle (Knesebeck)

Dezember 12, 2016

Die Schachnovelle (Knesebeck)

New York, 1941: allerlei illustres Publikum schifft sich auf dem Ozeandampfer Kopernikus ein, der alsbald in Richtung Buenos Aires ausläuft. Emma, die Tochter des Kapitäns, reist wieder einmal mit, in ihrem „goldenen Käfig“, wie sie das Schiff bezeichnet, in dem sie die Kabine ihrer verstorbenen Mutter bewohnt und ihren Vater um die Welt begleitet. Aber da bahnt sich Unbill an: der renommierte Schachgroßmeister Mirko Czentovic lässt sich per Flugzeug aufs Schiff bringen, um zu den anstehenden Schachweltmeisterschaften nach Südamerika zu reisen. Aufgeregt will der Schiffseigner dem publikumswirksamen Gast natürlich die beste Kabine an Bord anbieten – zum Entsetzen von Emma, die es gar nicht spaßig findet, dass der affektierte Egomane ihre Räumlichkeiten übernimmt. Frech schlägt sie dem Spielerkönig einen Handel vor: eine Partie Schach. Wenn es ihr gelingt, ihn zu schlagen, bekommt sie ihre Kabine zurück – falls nicht, darf sie Czentovic auf einen Rundflug mitnehmen. Mit großem Aufwand findet das Spiel statt, das Czentovic natürlich im Handumdrehen gewinnt. Gönnerhaft bietet er eine Revanche an, die allerdings gänzlich anders verläuft als geplant: aus den Zuschauern taucht plötzlich eine geheimnisvolle Gestalt auf und gibt Emma entscheidende Hinweise, mit denen sie die fast schon verlorene Partie noch zu einem Remis wenden kann.

Begeistert fordert die Menge, dass der Fremde, der sich nur B. nennt, direkt gegen den konsternierten Czentovic antreten soll – B. aber scheint fast erschrocken über sich selbst, schiebt den Erfolg auf einen Zufall und zieht sich zurück. Aber Emma gibt nicht so schnell auf und stellt B. zur Rede, der ihr anfangs widerwillig, dann immer offener seine Geschichte erzählt. Im Wien war er vor dem so genannten „Anschluss“ als Vermögensverwalter für diverse Klöster tätig, nach deren Hab und Gut die neuen Machthaber schon bald gierig die Finger ausstreckten. Um ihm die entsprechenden Papiere und Informationen zu entlocken, setzen die Nazis B. nach seiner Verhaftung einer perfiden Folter aus: sie sperren ihn monatelang in Einzelhaft und zerren ihn jeweils unangekündigt zu Verhören. Die Isolation setzt B. allmählich so zu, dass er bereit ist, alles preiszugeben – als ihm durch Zufall ein Buch in die Hände fällt, das für ihn zum Rettungsanker wird. Behandelt werden 150 berühmte Schachpartien, die B. im Kopf wieder und wieder durchspielt und sich so zunächst vor dem Wahnsinn rettet. Bald allerdings verfällt er in eine tiefe Persönlichkeitsspaltung: weil er mangels Brett und Figuren die Partien vollständig im Geiste nachstellt, ist er bei jedem Zug Spieler und Gegner zugleich – was zu einer schizophrenen Psychose führt, die auch anhält, als man ihn letztlich aus der Haft entlässt. Trotz dieser bewegten Historie lässt sich B. von Emma dazu überreden, die Herausforderung von Czentovic anzunehmen und eine Partie gegen den Großmeister zu spielen, bei der es dann zur offenen Eskalation kommt…

Mit der Schachnovelle (nicht zu verwechseln mit dem „Schach von Wuthenow“, der ist von Fontane) lieferte Stefan Zweig 1941 sein bis heute bekanntestes Werk, das Generationen von Schülern als Lektüre plagte und nicht zuletzt in Gestalt der Verfilmung mit Curd Jürgens und Mario Adorf aus dem Jahr 1960 in den Allgemeinbildungskanon aufrückte. Die Geschichte des Gestapo-Häftlings B., der sich mittels Blindschach (einer Technik, die von realen Großmeistern durchaus gepflegt wird) zunächst vor dem Wahnsinn rettet und dann in eine tiefe Krise stürzt, liefert als Erzählung ein beeindruckendes frühes Beispiel für die literarische Aufbereitung des Nazi-Regimes, seiner perfiden Methoden und der Auswirkungen auf die Opfer. Ebenso allerdings bietet Zweig ein faszinierendes Psychogramm zweier manischer Persönlichkeiten: der im wahrsten Sinne beschädigte B. (symbolisch für seine Versehrung ist die Narbe, die er am Hals trägt und an deren Herkunft er sich nicht erinnern kann) leidet unter der Psychose, die ihn in „ich schwarz“ und „ich weiß“ spaltet und ihn in angespannten Situationen in ein obsessives Verhalten drängt, in dem er sein Martyrium immer wieder gewalttätig durchleidet.

Die Schachnovelle PanelDagegen steht der misanthropische Egozentriker Czentovic, dessen Ziehvater, ein Pfarrer, vor der vollkommenen Abneigung des ungehobelten Landburschen gegen jegliche Bildung und Erziehung resignierte. Nur auf dem Schachbrett entfaltet sich die einseitige intellektuelle Begabung Czentovics, dessen antisoziale Züge dadurch nur schwach kaschiert werden: sobald er sich vom Spiel erhebt, ist er wieder der langsame, tumbe Junge, über den sich alle Welt lustig machen würde, wäre er nicht Schachweltmeister. So stehen sich also zwei gespaltene Persönlichkeiten gegenüber – die eine von der Gesellschaft in Form der Gewaltherrscher erst geschaffen, die andere von einer publicity-süchtigen, sensationshungrigen Masse nicht nur toleriert, sondern hochgejubelt und mit Reichtümern überschüttet. In seiner Adaption hangelt sich Thomas Humeau an den Grundzügen der Zweigschen Novelle entlang, übernimmt viele Passagen wortgetreu (z.B. in den Beschreibungen des späteren Schachgroßmeisters als „maulfaules, dumpfes, breitstirniges Kind“, das sich durch „totale Teilnahmslosigkeit“ auszeichnet), ersetzt dabei aber eine in der Vorlage zentrale Figur: ist es bei Zweig der Ölmillionär McConnor, der aus Ruhm- und Gewinnsucht gegen Czentovic antritt, übernimmt diese Funktion bei Humeau die Kapitänstochter Emma.

Diese tritt an die Stelle des Ich-Erzählers, dem B. in der Novelle seine Geschichte anvertraut, und symbolisiert den Konflikt zwischen menschlichem Gefangensein und Oberflächlichkeit der Glamour-Welt (verkörpert in den Reisenden), der bei Zweig in den Gedanken des Erzählers transportiert wird. Vor allem aber beeindruckt die Comicfassung durch ihre optische Ausführung: reduziert, oft auch metaphorisch überhöht bestürmen einen die Zeichnungen, in denen die Haft von B. teilweise wie ein Begräbnis dargestellt wird und die Flucht und die folgende Verirrung in die Gedankenwelt wie symbolistische Gemälde eines Dali anmuten. Der plakative Farbeinsatz setzt die Stimmung der jeweiligen Szene optisch kongenial um, und in einem besonderen Kunstgriff erscheint B. in der Gegenwart jeweils ohne Mund gezeichnet – seine eigene Stimme wurde ihm in der Haft genommen, so die visuelle Botschaft. Auch wenn das Ende der Geschichte bei Humeau um einiges pointierter ausfällt als in der Erzählung (Spoiler vermeiden wir natürlich tunlichst), gelingt ihm dennoch eine mehr als legitime Übertragung ins Medium Comic, die zeigt, wie zeitlos wirksam und gültig die Novelle doch ist. Und den Film mit dem guten Curd sollte man sich sowieso auch wieder einmal ansehen. (hb)

Die Schachnovelle
Text & Bilder: Thomas Humeau, nach Stefan Zweig
128 Seiten in Farbe, Hardcover
Knesebeck Verlag
22 Euro

ISBN: 978-3-86873-965-7

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