Reaktor 1F, Band 1 (Carlsen)

März 2, 2016

Reaktor 1F, Band 1 (Carlsen)

Japan. Am 11. März 2011 bricht dort über die östliche Küstenregion des Landes die Apokalypse herein. Zuerst als gewaltiges Seebeben und anschließend als verheerender Tsunami, der schwerste Verwüstungen anrichtet. Fast 16.000 Menschen sterben. Doch damit nicht genug: das Atomkraftwerk von Fukushima, das wie die meisten japanischen Meiler direkt an der Küste liegt, wird von einer 15 Meter hohen Flutwelle getroffen. Die Folge: auch hier massive Zerstörungen: in drei Reaktorblöcken ereignen sich Kernschmelzen, tagelang kommt es immer wieder zu gewaltigen Explosionen, Radioaktivität tritt in großem Maßstab aus. Die Lage droht außer Kontrolle zu geraten. Evakuierungen folgen. Sperrzonen werden eingerichtet. Die Fernsehbilder der Katastrophe sind uns noch in prägender Erinnerung.

Mehr als ein Jahr später, im Herbst 2012, arbeitet Kazuto Tatsuta für ein Subunternehmen der Betreiberfirma Tepco in und am havarierten Kraftwerk, das kurz 1F genannt wird. Auf eigenen Wunsch. Denn er ist ein guter Beobachter. Und ein begabter Zeichner. Und Kazuto Tatsuta ist nicht sein richtiger Name. Aus Sicherheitsgründen benutzt er ein Pseudonym. Die Schäden am Kraftwerk sind immens. Manche Bereiche der Reaktorblöcke sind noch nicht zugänglich. Die Strahlung ist noch zu hoch und Schutt und Zerstörungen behindern die Arbeit. Im Gebiet um das Kraftwerk liegen zahllose Behälter mit kontaminiertem Wasser, das dort gelagert wird. Die Arbeit ist aufwändig, vor allem die peniblen Schutzmaßnahmen (Maske, Anzug, Dosimeter), die davor notwendig sind. Oft ist nach einer Stunde Arbeit bereits der maximale Grenzwert erreicht. Die Arbeiter müssen gehen, die nächste Schicht beginnt. Sicherheit steht vor allem und bestimmt den Arbeitsrhythmus .

Rückblick: ein paar Monate zuvor. Tatsuta bewirbt sich für Jobs am Atomkraftwerk. Nach einigen Mühen wird er eingestellt. Eine kleine Firma, die als Subunternehmen von Subunternehmen in der Tepco-Hierarchie ganz unten ist. Zuerst gibt es nichts zu tun. Warten auf den ersten Job bei 1F. Es gibt kein Geld, trotzdem müssen die Angestellten Kost und Logis in der kleinen, beengten Unterkunft außerhalb des Sperrgebiets selbst zahlen. Nach etwa einem Monat geht es los. Doch nicht direkt am Kraftwerk. Tatsuta und sein Trupp werden zur Unterhaltung eines Pausenbereichs (miteinander verbundene Spezialcontainer) eingeteilt. Ihr Job: für die Sauberkeit der Räumlichkeiten zu sorgen, immer darauf zu achten, dass Schutzkleidung und Verpflegung in ausreichendem Maße vorhanden ist. Die Arbeiten sollen sich dort wie Hotelgäste fühlen. Was beinahe zynisch anmutet, angesichts der Schufterei mit kompletter Schutzkleidung in der prallen Sommerhitze. Doch Tatsuta will mehr, will näher ans Kraftwerk, ins Herz der Katastrophe…

Kazuto Tatsuta berichtet außerordentlich penibel und detailliert in einem realistischen, klaren Manga-Stil über den ganz normalen Alltag eines Arbeiters in Fukushima, wo sich die schwerste Atomkatastrophe seit Tschernobyl ereignet hat. Dabei wertet er nicht, sonders belässt es (bisher) weitgehend bei den Fakten. Ausführlich wird beispielsweise das Anlegen und die Funktion der Schutzkleidung erklärt. Das ständige Messen der Strahlung und die beunruhigend ruhige Normalität, mit der man pflichtbewusst seiner Arbeit nachgeht. Beinahe Lehrbuch artig verschafft er dem Leser mit Übersichten und Schaubildern einen Überblick über das Gelände oder Komplex des Pausenbereichs. Dabei spricht er Probleme an, die man als Laie nicht auf dem Schirm hätte: wie juckt man sich die Nase, wenn man eine Maske trägt? Wie geht man auf einem verstrahlten Gelände auf die Toilette, wo es doch nicht mal fließendes Wasser gibt? Wie kommt man im Ganzkörper-Schutzanzug mit der enormen Hitze klar? ‚Reaktor F1‘ ist ein dokumentarischer Manga in drei Teilen, der einen seltenen, sachlich neutralen Einblick in den Fukushima-Arbeits-Alltag gibt, der noch mindestens dreißig Jahre so sein wird. Denn so lange werden Reparatur, Rückbau und Demontage des Kraftwerks noch dauern. (bw)

Reaktor 1F – Ein Bericht aus Fukushima, Band 1
Text & Bilder: Kazuto Tatsuta
192 Seiten in schwarz-weiß, Taschenbuch
Carlsen Verlag
12,99 Euro

ISBN: 978-3-551-76107-1

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