Herkules sitzt in seinem Raumschiff (ja, richtig gelesen) und trauert um seinen Vater, der auf den Tag genau vor zehn Jahren ermordet wurde. Aber damit nicht genug: in den Trübsinn platzt eine finstere weibliche Gestalt, die dem athletischen Herren in bester Alien-Manier ein offenbar manipulatives Teil den Hals hinunter stopft – mit dem Ergebnis, dass Herkules kaltblütig Frau und Kinder umbringt. Kurzerhand befinden darauf die Axiomatikos, eine mysteriöse, halbmechanische Herrscherkaste, über das weitere Schicksal unseres Helden: als letzte Chance, sich von seiner – ja nicht ganz freiwillig aufgeladenen – Schuld reinzuwaschen, schickt man ihn zu Eurystheus, seines Zeichens König des Planeten Argolis. Dieser Komiss-Kopf ist beauftragt, Herkules auf insgesamt zwölf nahezu unlösbare Missionen zu senden, die seinen sicheren Tod bedeuten – oder die kleine Möglichkeit der Rehabilitation eröffnen.
Aufgabe 1 führt Herkules schnurstracks auf den rauen Planeten Nemea, wo seit Monaten Angst und Schrecken herrschen. Denn ein geheimnisvolles Wesen macht Jagd auf alle Siedler und bevorzugt dabei Familien mit Kindern, die es genüsslich abschlachtet. In beherzter Manier greift Herkules ins Geschehen ein, analysiert das Jagdschema des Viechs – angegriffen werden Familien mit nicht weniger als fünf Kindern – nimmt jede Menge Rotwein zu sich und konfrontiert das Wesen schließlich beim nächsten Angriff. Das entpuppt sich als mechanische Raubkatze, die unserem Helden zwar nicht schlecht zusetzt, aber dann doch Reißaus nimmt – und zwar in Richtung eines Raumschiffs der Alien-Rasse Exogi-N’N. Dort zerlegt Herkules die Bestie nach allen Regeln der Kunst und stellt den Alien-Chef zur Rede. Der eröffnet ihm, dass er ein Merk ist, ein Halbwesen aus Mensch und Axiomatikos, die die Existenz weiterer Rassen peinlich genau geheim halten – und dass er selbst das Viech zusammensetzte, um damit Organe für seine todkranke Frau zu sammeln. Auch nett, oder?
Morvan verschmilzt bevorzugt Elemente aus Realität, Mythos und Utopie: so etwa spannt er in ‚Univerne‘ eine faszinierende Welt auf, in der Jules Vernes Fantasien Realität sind, in ‚Sherlock Fox‘ steigert er die Grundidee der Farm der Tiere in ein antiutopisches Extrem. Für sein neues Epos transportiert er nun die klassische griechische Sagenwelt in eine breit gespannte Science Fiction Umgebung und bleibt dabei durchaus nahe an der Vorlage: wie sein Vorbild wird auch der Herkules der Zukunft als Strafe für den im Wahn verübten Mord an seinen Kindern von Eurystheus (hier allerdings nicht König von Mykene, sondern Planetenchef in einem Aufzug irgendwo zwischen Red Skull und einem Wehrmachts-Kommandanten) zu 12 übermenschlichen Aufgaben verdammt, von denen die erste darin besteht, auf Nemea (hier ein Planet, dort ein griechischer Landstrich) ein menschenfressendes Untier (hier ein mechanischer, dort ein echter Löwe) zu töten. Den Irrsinn rufen bei Morvan allerdings undurchsichtige Halunken ganz bewusst hervor, und im Gegensatz zum Mythos ist die Raubkatze von Aliens zusammengebastelt.
Insgesamt erscheinen die Menschen bei Morvan nicht als Spielball der Götter und des Schicksals, sondern als Faustpfand intergalaktischer Ränkespiele und Machtbegierden – was andererseits eine durchaus treffende Modernisierung des mythologischen Dilemmas ist, wie frei der Mensch denn eigentlich in seinem Sein und seinen Entscheidungen überhaupt ist (wie wenig, das dürfen ja Odysseus und vor allem Ödipus leidvoll erfahren). So entsteht durch die Zeitreise in die Zukunft ein durchaus aktueller Bezug in einer Welt, in der sich viele durch anonyme Mächte anstelle ihres eigenen Willens gesteuert sehen. Looky (‚Die Legende der Drachenritter‘, Bd. 11) inszeniert das Ganze mit kräftigem Strich in teilweise ausladenden Panels, Herkules wirkt durch Aufmachung und Tätowierung auf dem Rücken wie der Chef einer Motorrad-Bande, und viele Passagen funktionieren stummfilmhaft rein auf der optischen Ebene. Wenn auch die psychologische Motivation bisweilen etwas gerafft daherkommt und die fiktive Welt deutlich weniger komplex als etwa bei ‚Univerne‘ ist, sind wir auf Band 2, ‚Die Kerker von Lerna‘, gespannt – und auch darauf, welche Schweinereien uns im Augias-Stall erwarten. (hb)
Herkules, Band 1: Das Blut von Nemea
Text: Jean-David Morvan
Bilder: Looky
48 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-110-9