Erfolg zieht Nachahmer nach sich – oder Franchise-Konzepte und Spin-Offs. Zu Deutsch: hat man einen Kracher gelandet, verbreitert man das Konzept und liefert somit neuen Stoff ähnlicher Ausprägung. Gesagt, getan bei der Manga-Serie Attack On Titan, die nicht nur in Japan einen ungeheuren Siegeszug angetreten hat und mittlerweile auch in Form eines Magazins und als Romane das Licht der Welt erblickt. Neben der Hauptreihe, die das Schicksal einer Menschheit beleuchtet, die sich in einer postapokalyptischen Welt hinter riesigen Mauern vor menschenfressenden Unholden versteckt, präsentiert das Team um Ideengeber Hajime Isayama nun eine Art Prequel:
Schon 70 Jahre vor den Ereignissen der Hauptserie vegetiert man hinter Mauern dahin, in der längst verlassenen Außenwelt regieren die Titanen, deren Haupthobby auch zu diesen Zeiten schon darin besteht, sich verirrte Menschlein einzuverleiben. Ein Aufklärungstrupp unter der Führung von Carlo Pikale und Solm Hume stellt schockiert fest, dass es einem Unhold offenbar gelungen ist, die äußerste Verteidigungsmauer Maria zu durchbrechen und dort ein Massaker anzurichten. Daraufhin bildet sich ein seltsamer, selbstmörderischer Kult, der den Monstern huldigen möchte und die Öffnung des Tores verlangt, als ein Titan erneut die Mauern attackiert und die verwirrten Jünger samt und sonders auffrisst. Darunter ist auch die Witwe eines Aufklärungssoldaten, der beim ersten Angriff ums Leben kam – und als Pikale und Hume die wieder hochgewürgten (kein Witz) Überreste der Opfer inspizieren, stellen sie fest, dass das ungeborene Kind der Witwe unfassbarerweise überlebt hat.
Dieses, fortan als Titanenkind verleumdete, unglückselige Geschöpf fristet sein Dasein im Kerker in Ketten, bis ihn der reiche Kaufman Dario Inocencio als Objekt kauft, an dem sein schwächlicher Sohn die für die Militärkarriere erforderliche Härte lernen soll – was dieser durch grundlose Prügelattacken weidlich ausnutzt. Nachdem man bei einem Ausflug auf den Schutzwall einen Titan aus der Ferne erspäht, fasst Inocencios Tochter Charle den Beschluss, den Bastard im Keller zu töten – nur um dann zu erkennen, dass der zum jungen Mann herangewachsene Gefangene Kyukuro das eigentliche Opfer ist. Als Inocencio verkündet, Kyukuro verkaufen zu wollen, ist Charle überzeugt, Kyukuro retten zu müssen…
Dieses Prequel funktioniert auch ohne große Vorkenntnisse der Hauptserie, in der die Hintergründe der neuen Weltordnung ja ohnehin nicht erläutert werden: die Menschen sind in Reservate eingepfercht, einigen geht es dabei gut, im vollständig verwüsteten Umland wandern die offenbar mutierten Titanen umher und fressen alles was sie finden können. Das erinnert ein wenig an das Konzept der cursed earth aus ‚Judge Dredd‘ oder auch an spaßige 50er-Science Fiction Filme wie Ib Melchiors ‚The Time Travellers‘ (der deutsche Titel ‚2071 – Mutan-Bestien gegen Roboter‘ erklärt die Verbindung) – wobei in ‚Before the Fall‘ das Augenmerk mehr auf die individuellen Schicksale gelenkt wird, während in der Hauptserie die große Apokalypse regiert. Umgesetzt ist das Ganze wie gewohnt in stimmungsvollem Schwarz-Weiß, durchzogen mit dokumentarisch wirkenden Skizzen und Lageplänen und zumindest drei Auftaktseiten in Farbe. Ein flotter, makabrer Lesespaß, allerdings nicht für zartbesaitete Geister. Band 2 ist in Vorbereitung und erscheint Ende Juni. (hb)
Attack on Titan – Before the Fall, Band 1
Text & Bilder: Hajime Isayama, Ryo Suzukaze, Satoshi Shiki
180 Seiten in schwarz-weiß (3 Farbseiten), Taschenbuch
Carlsen Verlag
6,95 Euro
ISBN: 978-3-551-74370-1