Das versteckte Kind (Panini)

Juni 1, 2014

Das versteckte Kind

Paris 1942: die kleine Dounia verlebt mit ihren Eltern eine unbeschwerte Kindheit. Bis eines Tages ihr Vater nach Hause kommt und ihr erzählt, dass sie wie die ganze Familie von nun an einen tollen Sheriff-Stern tragen solle. Erst langsam versteht Dounia, dass ihr Vater sich diese Geschichte nur zu ihrem Schutz einfallen lässt: in der Schule wird sie plötzlich ausgegrenzt, die Familie ihres besten Freundes Isaak reist überstürzt in die USA aus, Spielkameradinnen wenden sich von ihr ab, und auf der Straße häufen sich Feindseligkeiten gegen alle, die das gelbe Zeichen auf der Brust tragen. Eines Nachts dringt die Polizei in die Wohnung ein – ihre Eltern schaffen es gerade noch, Dounia im Schrank zu verstecken, bevor sie verschleppt werden.

Die Nachbarin Madame Péricard nimmt die kleine Dounia bei sich auf und beschützt das Kind vor den Verfolgern, die gnadenlos Juden zusammentreiben und in Lager deportieren. Dabei machen sie auch vor den Péricards nicht Halt, die den Häschern um Haaresbreite entkommen, dabei aber getrennt werden. Auf dem Bauernhof der alten Germaine verbringen die als Mutter und Tochter getarnten Flüchtlinge viele Monate, bis endlich Madame Pericards Mann zurückkehrt, der sich mittlerweile dem Widerstand angeschlossen hat. Wieder zurück in Paris, suchen die Pericards unermüdlich nach Dounias Eltern und werden schließlich fündig: zumindest ihre Mutter hat das KZ überlebt, wobei Dounia die von den Entbehrungen gezeichnete Frau kaum als ihre Mutter erkennt. Auf ihren Vater wartet sie allerdings vergeblich. Diese berührende Geschichte erzählt die Großmutter Dounia ihrer Enkelin Elsa, als diese fragt, warum Oma manchmal traurig ist – womit sich der Kreis in die Gegenwart schließt.

In dieser wahrhaft beklemmenden Geschichte verbirgt sich ein dunkles Stück Wahrheit: nachdem das Vichy-Regime 1940 schon die Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben angeordnet hatte, kam es 1942 nach weiteren Übergriffen zu einer breiten Solidaritätswelle: Nachbarn, Verwandte und Freunde schützten vor allem die Kinder vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und schafften es tatsächlich, weit über 80% aller bedrohten Kinder zu retten. Die Frage, ob man eine solch ernsthafte Thematik wie den Holocaust in die Kunstform des Comics verpacken darf, hat schon Art Spiegelmann mit Maus eindrucksvoll bejaht. Loic Dauvillier wählt für seine Geschichte den Blickwinkel des Kindes selbst und macht damit fernab der großen historischen Zusammenhänge das Gefühl der Verlorenheit, der Angst und des schmerzlichen Vermissens der Eltern viel deutlicher, als eine trockene Beschreibung der Vorfälle dies jemals leisten könnte.

Die Aufmachung des Bandes als Kinderbuch, komplett mit „Dieses Buch gehört…“-Bild im Einband, verbindet sich kongenial mit den stilisierten Zeichnungen, die inhaltlich motiviert zwischen gleichmäßigen Panels und ganzseitigen Inszenierungen variiert, und dem pointiert-einfühlsamen Text, der nahezu vollständig aus den Gedanken der kleinen Dounia besteht. Diese bringt es erst im hohen Alter über sich, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, weil sie in ihrer Enkelin Elsa sich selbst erkennt. Das Vergessen, Verdrängen wäre der größte Fehler – auch wenn oder gerade weil Dounia den Verlust des Vaters nie verwunden hat: „Ich warte noch immer auf seine Rückkehr“, wie sie sagt. Ein bewegender, anrührender Band, der den Leser noch lange nach dem letzten Bild beschäftigt und der für den Max und Moritz Preis des Erlanger Comic-Salons nominiert ist. (hb)

Das versteckte Kind
Text: Loïc Dauvillier
Bilder: Marc Lizano, Greg Salsedo
84 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
16,99 Euro

ISBN 978-3-86201-774-4

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