Superman als mörderischer Psychopath – das trifft in etwa die Grundidee von Das Cape, das auf der Kurzgeschichte von Joe Hill (seines Zeichens Sohnemann von Stephen King, der ja mit Doctor Sleep wieder mal gezeigt hat, wer Chef im Horror-Ring ist) basiert. Dort entdeckt Eric Chase einen alten Umhang, mit dem er als Kind spielte, und findet zu seinem Erstaunen heraus, dass dieser ihm Flugkräfte verleiht. Anstelle brav das Verbrechen zu bekämpfen, wie es sich nach einem solchen Fund doch eigentlich gehört, rechnet er mit allen ab, die ihm – so meint er zumindest – das Leben vermiest haben. Ein Loser, der plötzlich unaufhaltsam seine Rachegelüste ausleben kann: die ultimative Pervertierung des Helden-Mythos (weiteres Beipiel dafür siehe auch hier). Jason Ciaramella, der Hills Short Story in ein Comicscript umarbeitete, bedient sich nun erneut aus diesem Fundus und liefert ein Prequel, bei dem wir erleben dürfen, wie der alte Lappen denn eigentlich zu den magischen Kräften kam.
Und das war so: Erics Vater tut im Vietnam-Krieg Dienst als Militärarzt und gerät dabei in Gefangenschaft bei den Vietcong. In einem grausamen Spielchen lassen die ihn gegen einen Mitgefangenen antreten – einen seltsamen Magier, der Blut trinkt, nur in Wortfetzen spricht und vor allem eins kann: fliegen. Wer ein Duell auf Leben und Tod gewinnt, darf sich auf die Freiheit freuen. Der durchaus menschliche Chase beschwört seine Feinde, ihn laufen zu lassen, und wenn es nur wegen der zwei Söhne ist, die er bislang kaum gesehen hat und zu denen er zurückkehren möchte. Der Lagerleiter, der seinen kleinen Sohn zu Mordtaten missbraucht, entpuppt sich dabei als eingebürgerter Amerikaner, der wegen Diskriminierung in die Heimat seiner Väter zurückgekehrt ist. Chase tötet den Magier, der ihn im Moment des Todes berührt und küsst – und ihm damit seine Kräfte überträgt. Von da ab geht Chase auf einen grausamen Rachezug und legt mit einem Flammenwerfer rücksichtlos Hütten, Waffen und Menschen in Schutt und Asche. Es ist, so sinniert er, als würde er in eine Finsternis hineingesogen, als würde er stärker, je mehr er zerstört – und somit kommt es zum feurigen Showdown zwischen ihm und dem Lagerleiter, der seinen toten Sohn rächt und dabei selbst umkommt. Ein Kamerad schickt die Überbleibsel des Hemdes von Chase, die er im Dschungel findet, nach Hause – und nun wissen wir auch, woher der Fetzen seine Macht bezieht. Der junge Eric bekommt das Cape als Trost von seiner Mutter – die ihm damit die Waffe für seine künftigen Morde in die Hand gibt.
Ciaramella ruft hier einen ganzen Reigen von Hintergründen auf, die das Geschehen in spannungsreiche Perspektive setzen: wie Joseph Conrads Colonel Kurtz läßt sich Chase in das Herz der Finsternis treiben, was ja schon bei Coppola nicht mehr im Kongo, sondern in Vietnam zu finden war. Extreme Situationen legen extreme Regungen frei, Unmenschlichkeit erzeugt mehr Unmenschlichkeit, bis am Ende die pure Zerstörung um ihrer selbst willen steht. Er könnte jederzeit nach Hause fliegen, das spricht Chase offen an – aber plötzlich ist ihm das, was er sich immer am meisten gewünscht hat, nicht mehr wichtig. Als flammender Racheengel bringt er das Armageddon und geht dabei nicht nur selbst unter, sondern besiegelt auch noch das Schicksal seines Sohnes, den er kaum kennt. Mehr als einmal fühlt man sich bei diesem grausamen Wettstreit ums Überleben an die idealistischen Jungamerikaner in Michael Ciminos Deer Hunter (‚Die durch die Hölle gehen‘) erinnert, die bei den Vietcong russisches Roulette spielen müssen und nicht mehr davon loskommen. Ganz nebenbei treibt Ciaramella auch eine weitere Helden-Origin zum Extrem: ein anderer Gefangener im Kriegsgebiet Asien – wobei es hier um Korea geht – dreht zwar nicht durch, aber schmiedet sich eine Rüstung und lehrt seinen Peinigern als Eiserner Mores. Spannender und kluger Lesestoff also, der vor allem fasziniert, wenn man auch das Original-Cape kennt. (hb)
Das Cape 1969
Text: Joe Hill, Jason Ciaramella
Bilder: Nelson Daniel, Zach Howard
100 Seiten in Farbe, Softcover
Panini Comics
14,99 Euro