
Shawns Lage ist mehr als misslich. Ein zeitreisender Auftragskiller aus der Zukunft hat seinen Sohn getötet, setzt ihm weiter nach und schafft es auch noch, ihn in einer prähistorischen Höhle anzuketten. Aber immerhin geht man der Sache jetzt auf den Grund: der finstere Kontrahent reist mit Shawn in die Zukunft und zeigt ihm eine mehr als düstere Endzeit-Welt, die von diversen Kriegen völlig verwüstet ist. Seine namenlosen Auftraggeber schicken Ferris, so heißt der grimme Rächer wohl, immer wieder auf Missionen in der Vergangenheit, um dort alle Ereignisse und vor allem Personen zu beseitigen, die auf irgendeine Weise die Weichen für diese Dystopie gestellt haben könnten. Jeweils weiter geht es nur mit einem Mord, weshalb irgendwann auch Shawns Sohn ins Visier von Ferris geriet.
Das Ganze klappt allerdings immer nur teilweise: so etwa hat Ferris einen gewissen Hitler erfolgreich beseitigt, aber der zweite Weltkrieg bricht trotzdem aus. Ferris überredet Shawn, ihn auf seinen Missionen zu begleiten – so meuchelt man diverse Protagonisten der Geschichte, darunter Alexander der Große, Pontius Pilatus (der damit Jesus nicht verurteilen kann) und Napoleon, man vereitelt das Attentat auf Franz Ferdinand (und hofft, damit den Ausbruch des ersten Weltkriegs zu verhindern), bis Shawn die entscheidende Frage stellt: kann er nicht auch einmal zurück reisen ins New Orleans der Vergangenheit, wo er seine Frau und seinen Sohn wiedersehen kann? Knirschend willigt Ferris ein, nur für eine Nacht – aber Shawn denkt natürlich nicht daran, wieder aus dieser Vergangenheit zurückzukehren, wo er das erste Zusammentreffen mit seiner künftigen Frau nochmals erleben darf, in einem New Orleans des Jahres 1948, wo es keinerlei Rassendiskriminierung gibt. Shawn fasst den Plan, Ferris einzufangen und im Keller einzusperren, womit die endlose Zeitschleife beginnt, die ihn selbst gefangen hält…
Die Zeit ist nicht linear, sondern zirkulär – so die Kernbotschaft dieses furiosen Zeitreisen-Krachers, der durch Handlung und Gestaltung gleichermaßen Ausrufezeichen setzt. Lässt sich die Gegenwart retten, indem man die Vergangenheit ändert? Heiligt der (künftige) Zweck auch äußerste Mittel, wie Mord (offenbar kaum, alle Versuche von Ferris schlagen ja fehl)? Kann die Zeit überhaupt manipuliert werden, oder regiert doch eine höhere Macht oder das Schicksal (der Titel legt eher den Teufelskreis der Zeit nahe)? Diese Fragen wirft Mattson Tomlin (emsig am Skript des Sequels zum Leinwand-Düster-Epos „The Batman“) in den Ring und wirft die Zeitsprung-Maschine derart an, dass dem Leser schwindlig zu werden droht.
Zusammen mit Shawn wirbeln wir hilflos durch die Epochen, die nicht unbedingt besser werden, wie im New Orleans des Jahres 1948 deutlich wird: „Der erste Weltkrieg, der zweite, der Bürgerkrieg… alle aus der Geschichte getilgt. Das Land heißt nicht mal mehr Amerika. Ein Ältestenrat regiert das Land von der Wüste aus. Klingt nach einer Stammesherrschaft. Atomwaffen gibt es nicht. Sklaverei schon, zusammen mit ein paar Seuchen, die die Menschheit fast ausgerottet hätten. Auf einem anderen Kontinent gibt es einen König, der klingt, als wären Hitler und Mussolini Chorknaben gewesen. Die Dinge sind anders, aber nicht unbedingt besser. Nicht so, wie Ferris gehofft hatte“.
Was bei Philip K. Dick „Das Orakel vom Berge“, der „Man in the High Castle“ war, also eine alternative Geschichte der anderen Art, das erlebt Shawn hier in drastischer Form. Zentraler Star des Geschehens ist aber zweifelsohne die fulminante optische Darbietung: Zeichner Lee Bermejo changiert permanent zwischen Stilen, die den Welten angepasst sind: das New Orelans von 1948 erscheint in fotorealistischem Schwarz-Weiß, die Action-Sequenzen leicht stilisiert, während die Schlaglichter auf die Morde in unterschiedlichen Epochen jeweils in historisch angepasstem Duktus gestaltet sind. Atemlos, atmosphärisch und packend, so rast das Geschehen vorüber und verbindet eine mehr als intelligent-vielschichtige Fragestellung mit furioser künstlerischer Umsetzung. Ein Leckerbissen! (hb)
A Vicious Circle – Ein Teufelskreis, Band 3
Text & Story: Mattson Tomlin
Bilder: Lee Bermejo
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Panini Comics
18 Euro
ISBN: 978-3-74163-972-2