Eigentlich hätte die Jugend eines gewissen George Lucas alle Zutaten für einen Tunichtgut: keine Lust auf Schule oder Arbeit, lieber Comics lesen, alte Serials anschauen und mit dem Auto durch die Stadt cruisen. Nach einem Verkehrsunfall beschließt er allerdings, zumindest irgendetwas mit seinem Leben anzufangen und zum Entsetzen seiner Eltern Film zu studieren. Das tut er auch mit Begeisterung und bastelt mit der düsteren Dystopie „THX-1138 4EB“ erfindungs- und trickreich einen Kurzfilm zusammen, der im Kreise der Studenten und Filminteressierten für Aufsehen sorgt. An der Uni trifft er auch einen gewissen Stephen Spielberg, der ihn mit der Cutterin Marcia Lou Griffin bekannt macht, die er kurz darauf heiratet.
Auch Francis Ford Coppola wird auf das junge Talent aufmerksam und gründet mit ihm das unabhängige Zoetrope Studio, dessen erstes Werk 1970 eine Spielfilmfassung von THX ist – die den Geldgebern dann als zwar optisch imposant, aber zu intellektuell und kalt erscheint, wie auch Lucas selbst, der als distanziert, wenig sozial und ein wenig versponnen gilt. Lucas lässt sich überzeugen, für sein nächstes Projekt eine andere Richtung einzuschlagen: mit „American Graffiti“ liefert er 1973 eine nostalgische Reminiszenz auf seine Jugend in der Kleinstadt, die den Studiobossen wieder nicht zusagt – aber Lucas besteht auf weiteren Testvorführungen, die vor allem beim jugendlichen Publikum hervorragend ankommen, was den Weg in die Kinos ebnet und Lucas einen veritablen Kassenschlager beschert.
Auch Alan Ladd Jr., beim strauchelnden Studio 20th Century Fox mit dem Aufspüren erfolgsträchtiger Ideen betraut, zeigt sich begeistert und bietet Lucas an, ihn bei künftigen Projekten zu begleiten. Der richtet den Blick nun auf seinen langegehegten Traum, eine Verfilmung der Abenteuer des Zeitungs-Comicstrip-Helden Flash Gordon, der es in den 30ern und 40ern in Form eines Serials schon einmal auf die Leinwand geschafft hatte. Als ihn die Rechteinhaber King Features, die die Comics weiter veröffentlichen, allerdings mit unverschämten Geldforderungen konfrontieren, beschließt Lucas, sein Weltraumepos kurzerhand selbst zu erschaffen. Schon als „Star Wars“ schreibt er ein kurzes Treatment, das schwer beeinflusst von Akira Kurosawas „Die verborgene Festung“ die Geschichte einer Rebellion gegen eine finstere Macht inklusive diverserer Befreiungsaktionen schildert.
Bei den Studios kassiert Lucas reihenweise Absagen: zu konfus, zu spirituell sei das Ganze, nur Alan Ladd jr. bekräftigt sein Interesse. Beflügelt durch den Erfolg von „American Graffiti“ ist Lucas besessen davon, seine Idee umzusetzen und schreibt ein vollumfängliches Drehbuch, das er im Sommer 1974 unter dem Titel „Adventures of the Starkiller“ fertigstellt. Er lässt Storyboards anfertigen, um die erforderlichen Spezialeffekte abschätzen zu können, während gewichtige Freunde wie John Milius oder Martin Scorsese eindringlich warnen: mit diesem Mischmasch aus Esoterik und Jungensfantasien wird er baden gehen (im Original heißt der Band passenderweise dann auch „Les Guerres de Lucas“ – Die Kriege des Lucas). Nach weiteren Überarbeitungen nähert sich Lucas langsam der Endfassung des Skriptes an, die Dialoge sind weiterhin unbeholfen und hölzern, aber die Story scheint seiner Frau nun schmissig und stringent.
20th Century Fox zaudert weiterhin, Lucas einen endgültigen Vertrag zu geben, der auf seine unnachahmliche Art reagiert: er geht mit seinem Privatvermögen (das bald aufgebraucht ist) in die Vorfinanzierung, produziert anstelle von Los Angeles in den vergleichsweise günstigen Elstree Studios in London und gründet, weil die von ihm gewünschten Spezialeffekte kaum realisierbar scheinen, mit einer bunten Horde von Technikfreaks 1975 seine eigene Effects-Firma Industrial Light and Magic. Nach einem eher schwierigen Casting, bei dem Lucas drei unbekannte Schauspieler für die Hauptrollen auswählt, bewilligt das Studio in letzter Sekunde das Budget, so dass die Dreharbeiten schließlich am 22.03.1976 in der Wüste von Tunesien beginnen können…
Aschaffenburg, Anfang 1978, wir passieren gerade das altehrwürdige Hofgarten-Kino. Im Autoradio läuft, wie in den vergangenen Tagen unentrinnbar, ein Spot für die neueste Kino-Sensation: „Krieg der Sterne! Ihr Kinosessel wird zur Kanzel eines Raumpiloten!“ Worauf der wagenführende Familienvorstand lauthals ergänzt: „Ja, nachts um 12!“ Die einzige Chance, den neunjährigen Science Fiction-begeisterten jungen Mann auf der Rückbank davon abzuhalten, unbedingt diesen Film sehen zu müssen, bestand für den Herrn Vater offenkundig in der dreisten Zusicherung, das absurde Werk würde ausschließlich um Mitternacht gezeigt. Eine Schutzbehauptung, die gerade noch hielt, aber spätestens zwei Jahre später bei „Das Imperium schlägt zurück“ wie ein Kartenhaus einstürzte.
Denn zumindest auf der beim örtlichen Elektro-Fachgeschäft erspähten Audiokassette konnte ich die Abenteuer von Luke Skywalker, Han Solo, Prinzessin Leia und den Droiden C3-PO und R2-D2 anhand der originalen Dialoge atemlos immer wieder und wieder verfolgen, weshalb ich den gesamten Film bis heute mehr oder weniger auswendig aufsagen kann – zumindest in der deutschen Synchronfassung. Die Verständnisprobleme, die Studiobosse, Freunde und auch Schauspieler hatten, konnte ich nie nachvollziehen – sofort war doch völlig klar, was ein Droide, ein Blaster, ein Laserschwert, ein Jedi-Ritter, ein Todesstern und vor allem ein Binärevaporator zu sein hatte.
Dass die Entstehung dieser Leinwand-Legende, die im Jahr 1977 die Kinowelt auf den Kopf stellte und gegen alle Konvention und Erfahrung (Science Fiction Filme verdienen kein Geld, sind nur Autokino-Futter, ohne Stars kein Hit etc.) zum Welterfolg avancierte, von allerlei Hindernissen, Risiken und auch persönlichen Konflikten geprägt war, das breitet diese absolut brillante, akribisch recherchierte Graphic Novel von Laurent Hopman und Renaud Roche eindrucksvoll aus. Lucas‘ Genie und Vision wurde erst auf der Premieren-Leinwand gänzlich sichtbar, niemand hatte eine Vorstellung davon, wie sich die in den vorläufigen Fassungen noch durch zusammengeschnittene Weltkriegsaufnahmen eingebastelten Sequenzen darstellen würden – einzig Stephen Spielberg war überzeugt, den größten Erfolg aller Zeiten vor sich zu haben.
Im Verlauf der Geschehnisse erleben wir die fast schon mythischen Momente – ein Tischler namens Harrison Ford baut gerade eine neue Tür bei Zoetrope ein und wird eher zufällig zum Casting eingeladen, Alec Guinness findet das Projekt kurios genug, um für eine kleine Gage mitzumachen, handelt sich aber als erster Schauspieler überhaupt eine bescheidene Erfolgsbeteiligung aus – 2% klingen ja nicht gerade viel, machen Guinness aber auf einen Schlag steinreich. Bei Industrial Light and Magic erfindet John Dykstra aus der Not heraus die erste computergesteuerte Kamera, Soundeffekte werden möglichst realistisch eingefangen (die Blaster-Schüsse sind Hammerschläge auf gespannten Drahtseilen, Chewbaccas Grunzen wird aus verschiedenen Tierlauten zusammengemischt, das Summen der Laserschwerter entsteht aus dem Surren einer Bildröhre), und Harrison Ford schreibt seinen Text selbst um, weil man „diesen Unsinn vielleicht schreiben, aber nicht sagen kann!“, wie er dem Regisseur entgegenwirft.
Lucas erscheint als besessener Visionär, als sozial unbeholfener Pedant, der für seinen Traum alles riskiert und dem seine Frau immer wieder klarmachen muss, dass seine Story zu verworren ist – bis er im Mythenbuch „Hero With a 1000 Faces“ des Kulturhistorikers Joseph Campbell endlich auf den Schlüssel stößt: alle großen Epen der Welt, von König Artus über Frodo, erzählen immer die gleiche Geschichte der Heldenreise, auf der ein jugendlicher Recke den Ruf der Ferne vernimmt, seine Heimat verlässt, eine Vaterfigur trifft, eine dunkle Macht besiegt und sich dabei mit dem Vater versöhnt oder emanzipiert.
Diese grundlegende Mythologie zapft Lucas gezielt an, was die magisch-märchenhafte Wirkung des Erstlings der Reihe erklärt, die mit Western, Ritterepen und harter Science Fiction mit vielen Hommagen an Flash Gordon (zuvorderst in der berühmten eingangs abrollenden Schrift) eine wunderbare Mischung eingeht. Ob Lucas nun wirklich schon alle 48 Teile der späteren, viel zu ausgewalzten und mittlerweile überpräsenten Star Wars-Galaxie ausformuliert hatte und der erste Star Wars eigentlich nur Teil IV mit der Bezeichnung „A New Hope“ ist – das ist völlig nachrangig.
Wichtig ist die selbst schon märchenhafte Geschichte, dass einer auszog, seine Vision umzusetzen und das auch gegen alle Widerstände tat. Zeichnerisch bringt die Graphic Novel wohlig-realistischen Flair, die handelnden Personen sind ausnahmslos gut getroffen, die Entstehung der Filmsets und der Modelle und Requisiten (oft aus Schrott zusammengebastelt, genial) liefert auch optisch wunderbare Eindrücke der Geschehnisse. Wer damals die Kino-Magie miterleben durfte (wie ich, der ich Anfang der 80er dann im Rahmen einer Reprise sogar den ersten Film doch noch im Kino sehen konnte), der wird dieses faszinierende Making Of verschlingen. Und ach ja, ganz am Rande: Han schießt natürlich zuerst, und den zur Familie gehörigen Hund nannte man Indiana. Kenner wissen das zu würdigen. (hb)
George Lucas – Der lange Weg zu Star Wars
Text & Story: Laurent Hopman
Bilder: Renaud Roche
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-96792-125-0