Lugosi (Panini)

August 1, 2022
Lugosi (Panini Comics)

Hollywood 1955: der abgehalfterte alte Horror-Darsteller Bela Lugosi liefert sich selbst ins Motion Picture and Country House Hospital ein. Diagnose: seit Jahren ist er abhängig von Morphium, Barbituraten und sonstigen Drogen. Während er eine Entziehung durchmacht, breitet sich vor seinem geistigen Auge seine Lebensgeschichte aus. Geboren als Bela Blasko, macht er seiner Familie mit seinen schauspielerischen Ambitionen alles andere als Freude. Dennoch setzt er seine Träume um und landet 1917 in Budapest tatsächlich beim Nationaltheater, während er nebenbei seiner linken Gesinnung frönt. Mittellos und immer in Geldnöten, pflegt er dennoch einen luxuriösen Lebensstil.

Als 1919 zumindest kurzzeitig die kommunistische Revolution das Land erschüttert, übernimmt er eine führende Rolle in der Schauspielergewerkschaft – und muss aus genau diesem Grunde noch im gleichen Jahr, als das Regime wieder gestürzt wird, mit seiner Frau nach Wien fliehen. Als der Schwiegervater den Geldhahn endgültig zudreht, macht sich Bela, der sich inzwischen nach seinem Geburtsort Lugosi nennt, auf ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten – nur um wieder nur auf Amateurbühnen zu stehen, nicht zuletzt, weil er kein Englisch spricht.

1927 schließlich winkt dann die große Chance: er ergattert die Hauptrolle in der Bühnenadaption des Romans Dracula, die ihm geradezu auf den Leib geschneidert scheint. In seiner Interpretation als galanter, bedrohlicher und gleichzeitig attraktiver Aristokrat gerät das Stück zum Triumphzug, der Bela schließlich bis nach Los Angeles führt, während er abseits der Bühne durch Alkoholeskapaden und Frauengeschichten von sich reden macht. Der neue Universal-Boss Carl Laemmle jr. Wittert das Potenzial des Stoffs, kauft die Rechte am Theaterstück und engagiert, nachdem der eigentliche Wunschkandidat Lon Chaney verstirbt, den ungarischen Bühnendracula für seinen ersten Horrorfilm.

Der Erfolg des Streifens, der insbesondere in den Anfangssequenzen vom deutschen Kameramann Karl Freund nachhaltig geprägt ist und tief im europäischen Expressionismus steckt, ist geradezu phänomenal – aber Bela wird mit einer mageren Gage abgespeist, weil er noch kein Star ist. Das soll sich mit der nächsten Universal-Produktion ändern: Lugosi soll Frankensteins Monster spielen, man fertigt Screentests an, aber der arrogante Künstler fürchtet, das schwere Makeup, das klobige Kostüm und vor allem die Grunzerei der Kreatur könnten seinem Stil schaden. Eine folgenschwere Fehleinschätzung: mit Frankenstein avanciert Boris Karloff zur hochbezahlten Horror-Ikone, während Bela mehr und mehr vom Pech verfolgt wird.

Filme wie „Murders In The Rue Morgue“ werden umgeschrieben, um der Zensur zu entgehen, versinken dadurch im inhaltlichen Unfug und geraten zu Misserfolgen; um seinen zunehmenden körperlichen Gebrechen zu begegnen, beginnt Lugosi außerdem damit, regelmäßig Morphium zu nehmen. 1932 muss er schließlich Bankrott anmelden: sein nach wie vor ambitionierter Lebensstil fordert Tribut. Fortan muss er alle Rollen annehmen, die man ihm anbietet – nach durchaus achtbaren Produktionen wie „White Zombie“ oder „The Black Cat“, bei der er erstmals mit Karloff zusammen dreht, rutscht Lugosi immer tiefer in die B-Movie-Welt, bis er schließlich weitgehend vergessen von einem jungen, begeisterten Möchtegern-Regisseur namens Ed Wood wiederentdeckt wird…

„Aufstieg und Fall von Hollywoods Dracula“ – eben diese Geschichte erzählt diese Graphic Novel von Koren Shadmi, die die Karriere eines Immigranten nachzeichnet, der durch eine Verkörperung eines Mythos aus seiner alten Heimat zu Ruhm gelangte, den er in Folge durch Maßlosigkeit, Selbstüberschätzung und Sucht wieder zerstörte. Für die Darstellung hat Shadmi eifrig auch in zeitgenössischen Zeitungs- und Magazinartikeln gestöbert, was sich in zahlreichen authentischen Szenen niederschlägt – so etwa das pressewirksam aufgemachte erste Treffen mit Karloff, die Sauftouren mit Clara Bow, die zahlreichen Ehen, die immer von Affären überschattet waren, und die chronischen Geldnöte, die als Kombination aus überzogenem Anspruch („Wenn ich wie ein Star lebe, dann werde ich auch einer“, erklärt Bela noch in Ungarn seiner ersten Ehefrau) und Ausbeutung durch die Filmindustrie erscheinen (so etwa bekommt Karloff am Set von „Son Of Frankenstein“ eine Gage von 4000 Dollar die Woche, während Lugosi, immerhin Darsteller der zentralen Figur des Igor, sich mit 500 Dollar zufrieden geben muss).

In die Flashbacks, die Lugosi in seinem Krankenzimmer erlebt, mischen sich Wahnvorstellungen und Phantasiegebilde: so etwa tritt Lugosi sich selbst als junger Dracula entgegen, der ihn damit konfrontiert, dass er die Kunstfigur geschaffen und sich damit selbst vernichtet habe. Auch sein ewiger Konkurrent Karloff sucht ihn heim, wobei sich die Wahrheiten vermischen: war es der neue Regisseur James Whale, der der Meinung war, Lugosi sei zu wenig in der Lage, auch Sympathie für das Monster zu erzeugen? Oder lehnte Lugosi wirklich selbst aus freien Stücken ab und empfahl den unbekannten Karloff (was der mit den Worten kommentiert „Wem willst Du dieses Märchen denn noch erzählen?“)? Oder war diese fatale Fehlentscheidung einfach eine Kombination aus unterschiedlich Faktoren?

Der filmgeschichtliche Reigen, den Shadmi heir auffährt, ist gründlich recherchiert und detailliert aufbereitet, von Carl Laemmle jrs Kalkulation, hochwertige Horrorfilme zu produzieren, über den europäischen Einschlag dieser Produktionen und die beklemmenden Szenen in heute durchaus anerkannten Produktionen wie „Murders In The Rue Morgue“, „Island Of Lost Souls“ und „White Zombie“ bis hin zu den katastrophalen Auswirkungen des Hayes-Codes, der das Horror-Genre für einige Jahre weitgehend erledigte. Auch der Abstieg in die Billigfilme erscheint an schlagenden Beispielen wie dem unsäglichen „Ape Man“, bevor dann die Zeit mit Ed Wood als letzter Hoffnungsschimmer erscheint, der nicht Slapstick-haft, sondern durchaus rührend erscheint – inklusive der berühmten Rede „Home? I have no Home!“, die Wood eigens in „Bride Of The Monster“ für Lugosi einbaute.

In atmosphärischem schwarz-weiß gehalten, baut Shadmi wiederholt berühmte Filmeinstellungen wie die Treppe in Draculas Schloss oder auch Szenen aus „The Raven“ und „The Black Cat“ nach, greift zentrale Dialogstellen auf („Listen to the wolves, children of the night“) und orientiert sich bisweilen auch an Tim Burtons genialem „Ed Wood“. Somit ein mehr als würdiges Biopic, das die Lebensgeschichte eines Mannes nacherzählt, der letztlich an sich selbst, aber auch am System Hollywood scheiterte und dennoch eine bleibende Ikone der Film- und Kulturgeschichte schuf. Denn noch heute gilt: Karloff rules. Aber Lugosi rult auch, wenigstens ein bisschen. (hb)

Lugosi
Text & Bilder: Koren Shadmi
160 Seiten in Schwarz-Weiß, Hardcover
Panini Comics
25 Euro

ISBN: 978-3-7416-2791-0

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