Widerwillige Helden, die ihre Kräfte anfangs ablehnen/wahlweise selbstsüchtig zum eigenen Nutzen einsetzen und dann irgendwann doch noch zum mehr oder minder strahlenden Retter aller bedrohten Witwen und Waisen avancieren – das kennt man sattsam aus dem Comic-Universum, in der ja etwa ein gewisser Peter Parker nach erstem Egoismus das mittlerweile abgedroschene Mantra akzeptiert, dass mit seiner großen Kraft auch große Verantwortung einhergehe. So weit, so konventionell. Dass Helden teilweise auch leicht zweifelhafte Charakterzüge aufweisen, daran hat man sich bei Batman, dem Punisher und auch Catwoman ebenfalls gewöhnt. Auch hier also nichts Neues. Aber dass magische Kräfte, mit der man kurz mal die Welt retten könnte, von einem abgewrackten Faktotum gnadenlos zur Pflege der eigenen psychopathischen Anfälle genutzt werden – das ist neu (sehen wir mal von der ähnlich radikalen Thematik in „A God Somewhere“ ab). Und schon deshalb spannend.
Ersonnen hat „Das Cape“ ein gewisser Joe Hill, und dahinter verbirgt sich niemand anderes als der Sohn des Horror-Altmeisters Stephen King (kein Wunder, bei DEM Namen würde ich mir als Schreiberling auch ein Pseudonym suchen… und King senior selbst hatte mir ja schon meinen Namen geklaut, als er unter Richard Bachmann firmierte). Wie Paps schreibt auch Hill Romane und Kurzgeschichten (und Comics, wie etwa die Serie Locke and Key, ebenfalls bei Panini), und aus eben einer solchen wurde in den Händen von Autor Jason Ciaramella sowie Zeichner Zach Howard und Nelson Daniel die vorliegende Miniserie.
Wie viele andere Jungs in seinem Alter spielt der kleine Eric mit seinem Bruder Nick Superheld und trägt dabei ein von seiner Mutter genähtes blaues Cape, das ihm auch die einsamen Stunden erträglich macht, in denen er seinen Vater vermisst, der aus Vietnam nicht zurückgekommen ist. Nach einem schweren Unfall – Eric stürzt von einem Baum und kommt dabei fast um – fällt sein Leben auseinander. Die Mutter nimmt ihm das Cape weg, er wird zum Außenseiter, und während sein Bruder in Harvard Medizin studiert, dümpelt er in Gelegenheitsjobs vor sich hin. Als seine Freundin mit ihm Schluss macht, rutscht er vollends ab und wäre eigentlich ein Sozialhilfe-Kandidat. Wenn ihm da nicht plötzlich sein altes Cape in die Hände fiele – und ihn tatsächlich fliegen lässt, ganz so wie er es als kleiner Junge erträumt hatte.
Eine konventionelle Geschichte würde nun abbiegen in die Schiene Entdecken der Kräfte – siegreicher Kampf mit den inneren Dämonen – Heldentum allenthalben. Nicht so hier: Eric macht gnadenlos alle platt, die aus seiner Sicht an seinem Scheitern schuld sind. Seine ex-Freundin Angie läßt er nach einem an den ersten Superman-Film mit Christopher Reeve angelehnten, romantischen Flug durch den Nachthimmel kaltblütig zu Tode stürzen. Seinem Bruder Nick verbrennt er absichtlich das Gesicht, bevor er das Flugzeug, in dem seine Mutter vor ihm flieht, zum Absturz bringt (beklemmende Nähe zu 09/11 macht sich breit). Nur durch einen Trick gelingt es Nick, Eric ebenfalls rettungslos in die Tiefe stürzen zu lassen.
Hill greift in seiner Story bewusst klassische Superhelden-Motive auf und verkehrt sie mit teilweise satirischen Anflügen ins blutige Gegenteil: anstelle mit seiner Holden zu schweben, wirft Eric sie in die Tiefe, anstelle das brennende Flugzeug zu allgemeinem Jubel zu retten, steckt er es aktiv in Brand. Dabei läßt Hill keinen Zweifel daran, dass Eric in keinster Weise etwa gerechte Rache nimmt – die Personen in seinem Umfeld, die ihm eigentlich helfen wollten, müssen vielmehr als Zielscheiben für seine Unzulänglichkeiten und seine Schwäche herhalten. Weitab von allen Superschurken-Phantasien entfaltet Hill das Schreckbild eines Versagers, der seine Minderwertigkeitskomplexe und seinen Neid brutal an anderen ausläßt. Eine faszinierende, brutale und intelligente Variante des Heldenmythos, die nach Kick-Ass wieder frischen Wind ins Genre bringt. Genial! (hb)
Das Cape
Text: Joe Hill, Jason Ciaramella
Bilder: Zach Howard, Nelson Daniel
132 Seiten in Farbe
Panini Comics
16,95 Euro