Bataclan: Wie ich überlebte (Panini)

Oktober 26, 2017

Ganz Fußball-Deutschland war live dabei, als am 13. November 2015 beim Freundschaftsspiel gegen Frankreich in Paris der erste laute Knall, bald darauf gefolgt von einem zweiten, zu hören war. Was anfangs noch niemand ahnte: dies war der Auftakt einer verheerenden Terrornacht, die insgesamt 130 Opfer forderte und die ihren grausamen Höhepunkt im Anschlag auf den Musikclub Bataclan fand, wo alleine 90 Menschen starben. Der Grafiker Fred Dewilde, Jahrgang 1966, war dabei, als die islamischen Attentäter den Club stürmten, wahllos in die Menge schossen und Handgranaten zündeten. Er überlebte. Unverletzt. Zumindest äußerlich. Und hielt jene traumatischen Ereignisse wie auch das Danach in Bilder und Worte fest, die Panini nun als Album bei uns veröffentlicht.

Der Band ist dabei zweigeteilt. Auf den ersten 14 Seiten erzählt Dewilde das Geschehen in Comicform. Den Moment, als er mit sich gemeinsam mit Freunden auf einen unterhaltsamen Konzertabend freut. Als kurz nachdem die „Eagles of Death Metal“ auf die Bühne gehen, die ersten Schüsse fallen, die ersten Explosionen zu hören sind. Als er sich auf den Boden wirft, in die Blutlache eines Toten, neben ihm eine unbekannte Frau namens Élisa. Beide stellen sich tot, gehen ein Bündnis ein, Hand in Hand, das Dewilde als „Kokon der Menschlichkeit“ beschreibt, indem sie sich gegenseitig Mut machen und ihre Angst teilen. Immer in der Hoffnung nicht getroffen zu werden. Unschuldige Opfer, die weder wissen noch begreifen können, was um sie herum geschieht. Die Geräusche und das furchtbare Geschehen bestenfalls deuten können, die nur den Boden neben sich sehen. Bis dann irgendwann die Polizei auftaucht und der Alptraum so plötzlich und unerwartet beendet wird, wie er begann.

Dann folgt die lange Zeit der Verarbeitung und Aufarbeitung. Die schreibt Dewilde nieder, durchsetzt mit einzelnen Skizzen und nicht mehr in Comicform. Hier schildert er die Minuten und Stunden nach dem Terror. Wie er den Kontakt zu seiner Familie, seinen Kinder sucht. Wie er um seine Freunde fürchtet, die mit ihm im Bataclan waren und die wie er höchstens leicht verletzt entkamen. Wie man sich, um den Stress, die Angst abzuleiten, makabre Witze erzählt und wie dann zuhause langsam die Verarbeitung beginnt. Ständig muss er über das Geschehene sprechen. Er ist unkonzentriert, auch unkontrolliert, fahrig. Laute Geräusche erschrecken ihn und rufen genervte Reaktionen hervor. Nur langsam wird es besser, unterstützt durch seine Familie, seine Frau. Und seine Therapeutin. Dann fasst er den Entschluss, das Geschehene aufzuzeichnen, was für ihn auch eine Therapie ist. Und vielleicht auch eine Art Abschluss und eine Rückkehr zur Normalität.

14 eindringliche Comicseiten mit Terroristen, die als Skelette mit Totenkopf und Sprengstoffweste Anonymität, Tod und Hass verkörpern. Dewilde ist kein Comiczeichner und das merkt man. Die Panels wirken spontan, aus der Seele heraus und verdeutlichen neben der Angst die erschreckende Passivität, zu der die Menschen im Bataclan verurteilt waren. Auf dem Boden liegend, sich tot stellend und voller Angst hoffend, hier lebend wieder rauszukommen. Der anschließende Textpart ist ebenso wichtig, verdeutlicht und beschreibt er doch die Nachwirkungen in sehr persönlichen Einblicken in kurzen Kapiteln. Kein leichter Band, gewiss nicht. Aber sicher ein wichtiger visualisierter Augenzeugenbericht des Terrors aus Opfersicht (im französischen Original heißt der Band „Mon Bataclan“). Denn auch die, die äußerlich unverletzt blieben, trugen seelische Verletzungen davon. (bw)

Bataclan: Wie ich überlebte
Text & Bilder: Fred Dewilde
48 Seiten in Schwarz Weiß, Hardcover
Panini Comics
16,99 Euro

ISBN: 978-3-7416-0443-0

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