Kanada, Nord-West-Territorium, im Winter 1987. London Donovan, die rechte Hand Wolfgang Feiersingers, hat mächtig Glück gehabt. Im verschneiten Wald trifft er nahe der Ortschaft Fort Norman auf einen riesigen Wolf, der seine Mitstreiter niedermetzelt, ihn aber letztendlich verschont. Man ist sich einig und wird durch Video-Material bestätigt: es muss sich um einen sagenhaften Amarok handeln, einen mythischen monströsen Wolf, der nicht zum ersten mal zugeschlagen hat. Natürlich bekommt Wolfgang Feiersinger, seines Zeichens Kryptozoologe und reich an Geld und Einfluss, Wind von der Sache. Ehe der örtliche Sheriff die Jagd auf das Untier organisieren kann, tritt Feiersinger auf den Plan. Getreu seiner Devise, nicht kleckern, sondern klotzen, schafft er tonnenweise schweres Gerät und Ausrüstung herbei und geht die Jagd generalstabsmäßig an. Was schon bald von Erfolg gekrönt zu sein scheint. Denn man sichtet nicht nur einen Amarok, sondern gleich ein ganzes Rudel. Doch dann kommt alles anders als geplant, denn die Monsterwölfe warten mit einer ganz besonderen Überraschung auf…
Nach Bigfoot, einer Variante der Loch Ness Legende und einem Inuit Mythos widmet sich Christophe Bec, der hier storytechnisch von Gilles Daoust unterstützt wird, in Band 4 des Serien-Ablegers von „Carthago“, einer klassischen Figur des Horror-Genres. Gewissermaßen durch ein Hintertürchen. Denn eigentlich und anfänglich steht die Jagd auf den Amarok im Mittelpunkt des Geschehens. Der Amarok ist ein riesiger Wolf, ein einsamer, tödlicher Jäger, der in der Mythologie der Eskimos verankert ist. Wie im zweiten Band, wo Bec den Nessie-Mythos mit einem afrikanischen Sagentier verbindet, baut er hier eine Brücke zwischen dem Amarok und der Werwolf-Legende. Was wir mal preisgeben, weil der halbwegs geübte und mit der Materie vertraute Leser hier ohnehin sofort Lunte riecht und die Überraschung dann eigentlich keine mehr ist. Was gleichzeitig ein Manko an der Geschichte darstellt. Ein Story-Twist, den man erwartet und vorher ahnt, ist eben keiner mehr.
Dazu kommt wieder die nicht gerade subtile Vorgehensweise von Donovan und Feiersinger, dem späteren „Hundertjährigen aus den Karpaten“. Nachdem die Situation dank einiger hirnloser Wilderer eskaliert – was Zeichner Drazen Kovacevic („Walküre“, ebenfalls bei Splitter erschienen) furios inklusive Feuersbrunst inszeniert – greifen die beiden zu rigorosen und skrupellosen Mitteln. Ziel ist es weder die Wesen zu erforschen oder gar zu fangen, man will ihnen schlichtweg nur noch an den Kragen. So lässt Bec den Leser einmal mehr in die Vergangenheit seiner kontroversen Helden schauen und arbeitet dabei das nächste Sagengeschöpf ab. Trotz der vorhersehbaren Handlung wartet Bec mit actionreichen Sequenzen auf, lässt den Amarok ordentlich wüten und bringt wieder den ein oder anderen Beleg von Feiersingers schier unbegrenzten monetären und technischen Möglichkeiten: so schwirren ferngesteuerte Drohnen durch die Luft, mit Infrarot ausgestattet. Dem gegenüber steht die dann archaische Jagd auf uralte Wesen, die so endet, wie es schon vor Jahrtausenden der Fall gewesen sein kann.
Mit diesem vierten Band von „Carthago Adventures“ zieht Bec mit der Hauptserie gleich, die die Jagd auf ein Megalodon – einen riesigen prähistorischen Hai – zum Thema hat. Im Gegensatz zu „Carthago“, das eine durchgehende Story mit festen Zeichnern bietet – erst Eric Henninot und jetzt Milan Jovanovic – wartet der Ableger mit abgeschlossen Episoden auf, die von wechselnden Zeichnern inszeniert wurden. In diesem vierten Band kommt der in Zagreb geborene Drazen Kovacevic zum Zuge, von dessen Reihe „Das Rad“ vor fast 15 Jahren zwei Bände bei Kult Editionen erschienen. Wie seine Vorgänger ist auch Kovacevics Stil fest im klassischen franko-belgischen Realismus verwurzelt. Opulente, detailreiche Panels in gediegener winterlichen Kolorierung zeichnen den Band aus, der zwar nicht zu den stärksten der Reihe gehört, der die Fans der Serie aber trotz des angesprochenen Story-Mankos zufrieden stellen wird. (bw)
Carthago Adventures, Band 4: Amarok
Text: Christophe Bec, Gilles Daoust
Bilder: Drazen Kovacevic
56 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
14,80 Euro
ISBN: 978-3-86860-763-6