Expedition ins Ungewisse: 1804 werden Meriwether Lewis und William Clark von Präsident Jefferson höchst selbst auf die Mission geschickt, einen Landweg an die Pazifik-Küste zu finden und auf dem Weg dorthin alle Längen- und Breitengrade festzuhalten und „alle Vegetation und Getier“ zu dokumentieren. Die bunte Bande aus Freiwilligen, Söldner und Sträflingen, die man mit dem Versprechen der Straffreiheit geködert hat, macht sich auf, um Jeffersons Auftrag zu erfüllen, der ganz explizit vorsieht, dass man es auch mit allerlei Kroppzeug zu tun bekommen könnte – immerhin soll man „Monster vernichten und der Expansion unserer Vereinigten Staaten den Weg bahnen“.
Bald entdeckt man am Ufer eine riesige Konstruktion, und als man sich anschickt, sie zu untersuchen, wird deutlich, was Jefferson gemeint haben könnte: ein riesiges Wesen, teils Büffel, teils Mensch, greift an und kann nur durch beherzten Einsatz unschädlich gemacht werden. Lewis und Clark folgen weiter getreulich ihrem Auftrag, während es in der Mannschaft zu brodeln beginnt: der Dieb Jensen erkennt die Gemeinsamkeit der Truppe (alle haben keine Familie, keiner wird sie also vermissen – they were expendable, wie man so schön sagt). Man gelangt schließlich am ersten Etappenziel La Charrette an, dem letzten Außenposten der Zivilisation, aber als eine kleine Delegation das Schiff verlässt, greifen auf dem Weg zum Fort weitere Minotauren an. Mit knapper Not entrinnt man in die Anlage, nur um dort das nächste Grauen vorzufinden: das Fort scheint verlassen, aber bald entdeckt man Zombie-artige Waldwesen, ganz offenbar die ehemaligen Bewohner, die sich nur durch Verbrennen aufhalten lassen.
Ein paar plötzlich auftauchende Maskierte stellen sich als die letzten Überlebenden des Forts heraus, die unter der Führung von Magdalene Boniface auf Hilfe warten. Der ganze Wald sei von der extrem ansteckenden Pflanzenseuche überrollt, so berichten sie, die nur ein Ziel hat: sich auszubreiten wie Unkraut. Belagert von den Minotauren und bedroht durch die Waldmonster, will man einen Ausbruch wagen, als sich das Blatt plötzlich wendet: die Indianerin Sacagawea und ihr Mann Toussaint Charbonneau tauchen auf und bringen die Felle der getöteten Minotauren mit. Das geheime Ziel war immer, eben diese beiden zu treffen, da Sacagawea ganz offenkundig über eindrucksvolle Kampftechniken verfügt und dem Teufelszeug ordentlich Mores lehren kann. Das ist auch mehr als nötig, denn es wird immer deutlicher, dass nicht nur Menschen, sondern alle Tiere des Waldes von der Seuche übernommen werden. Bewaffnet mit Brandbomben und Todesmut, machen sich Clark und Lewis auf die Suche nach dem Herrscher der Fremdlinge, den sie ein für allemal ausräuchern wollen – was aber direkt im Schlund einer Monsterpflanze zu enden scheint…
Chris Dingess liefert hier eine furios-subversive Dekonstruktion eines uramerikanischen Mythos ab: die „manifest destiny“, also die offenkundige Bestimmung, umschreibt eine Doktrin der USA, der zufolge diese gloriose Nation den göttlichen Auftrag verfolgt, zu expandieren und das Land in Besitz zu nehmen. Als „Go West“ mutierte diese Lehre (die für mehr oder weniger jeden Kolonialismus aller Besatzer herangezogen wurde, das konnten die Engländer genauso gut wie die Belgier und Holländer, um nur einige zu nennen) zur Absegnung der brutalen Landnahme und Enteignung der Ureinwohner, die man auch hier rücksichtslos aus dem Weg zu räumen hat. Die im offiziellen Western-Mythos vorherrschende Geschichtsverzerrung manifestiert sich im Tagebuch von Lewis, das dieser wiederholt bewusst ändert und beschönigt („wir führten die Exekutionen (durchgestrichen) Quarantäne-Maßnahmen selbst durch“), um eine politisch korrekte Darstellung zu liefern. Aber weit jenseits aller reinen Western-Kritik, wie sie etwa ein „Buffalo Runner“ vorträgt, steigert Dingess die historisch verbürgte Expedition ins Absurde und kombiniert damit Kritik und diebische, dekonstruktive Freude: brachten „Cowboys und Aliens“ und auch Joss Whedons schöne Serie „Firefly“ Western und Science Fiction zusammen, rührt Dingess noch eine ordentliche Prise Horror und Kalter Krieg dazu.
Insgesamt scheint es, als ob ein 50er-SF-Paranoia-Heuler in ein Western-Serial geraten sei: die intelligenten Pflanzen mit dem kollektiven Bewusstsein stammen ganz offenbar aus dem Weltraum wie schon ihre Vorfahren aus John Wyndhams „Day Of The Triffids“, aber noch deutlicher grüßen uns hier die außerirdischen Kohlköpfe aus „The Thing From Another World“ („etwas wie von einer anderen Welt“) und vor allem die Körperfresser aus „Invasion Of The Body Snatchers“, der vor allem in seiner ersten Filminkarnation fast wörtlich Pate steht („alle wussten dass Sergeant Floyd nicht mehr Sergeant Floyd war“). So entsteht eine furiose Melange aus gesellschafts- und geschichtssatirischen Anspielungen, gepaart mit einer krachigen, bisweilen spaßigen Action-Story, die Matthew Roberts schmissig-gekonnt in Szene setzt, mit ausladenden Totalen bis hin zu fulminanten Set Pieces. Eine maximal unterhaltsame Achterbahnfahrt, auf deren Fortsetzung wir uns schon freuen. Der vorliegende Band bringt die Ausgaben 1-6 der US-Originalausgabe von 2014. (hb)
Manifest Destiny, Band 1: Flora und Fauna
Text: Chris Dingess
Bilder: Matthew Roberts
118 Seiten in Farbe, Hardcover
Cross Cult
20 Euro
ISBN: 978-3-86425-826-8