Afghanistan im Mai 2008. Soldat Mike Cervantes überlebt als einziger seiner Patrouille einen Anschlag und gerät in die Fänge der Taliban. In Gefangenschaft muss seine schwer verletzte Hand amputiert werden. Einige Monate und Fluchtversuche später wird für ihn Lösegeld gezahlt, er kommt frei. Im Frühjahr 2009 ist er wieder zuhause in Arizona. Anfangs hält er sich von der Gesellschaft und seiner Familie fern, lebt abgelegen in einem Wohnwagen, versorgt durch seinen Freund Randy. Was sich erst ändert, als er eine Handprothese bekommt. Als Randys Auto-Werkstatt gepfändet wird, beginnt Cervantes einen persönlichen Kreuzzug, der zum Scheitern verurteilt ist: er zerstört einen Geldautomaten und wandert für 16 Monate hinter Gittern. Dort kümmert er sich um die Gefängnisbibliothek, liest u.a. den Don Quijote seines berühmten Namensvetters. Wieder in Freiheit arbeitet er in der Stadtbücherei, wird zum gefragten Ratgeber in Sachen Literatur. Nachdem er Bücher entfernen soll die „Anstoß erregen“ (u.a. Bukowski), nimmt er seinen Kreuzzug wieder auf, klaut die entsprechenden Titel (um sie zu retten) und haut ab. Auf der Flucht gabelt er mit Tranquillo einen illegalen Einwanderer auf, den er Sancho nennt und sucht Unterschlupf im Navajo-Reservat im Monument Valley. Doch inzwischen sind ihm Polizei und FBI auf der Spur. Und seine selbst auferlegte Mission ist noch lange nicht beendet…
Anfangs zieht die Story Parallelen zu Mike Cervantes‘ berühmtem Namensvetter, dem einige Jahrhunderte zuvor ähnliches wiederfuhr: auch er wurde im Krieg (1571, in der berühmten Seeschlacht von Lepanto) schwer an der Hand verwundet. Auch er geriet in muslimische Gefangenschaft, versuchte ein ums andere mal zu fliehen und wurde am Ende freigekauft. Als Mike Cervantes dann seine Strafe absitzt, entdeckt er in der Knast-Bibliothek Don Quijote, den spanischen National-Roman, für sich. Fortan beziehen sich die Parallelen auch auf den Romanhelden. Der inspirierte Cervantes tauft seinen Wagen auf Rosinante (wie Don Quijote seine alte Märe), er sieht statt Riesen in Windmühlen in den Mesas des Monument Valleys feindliche Soldaten (Taliban), wird wie der „Ritter von der traurigen Gestalt“ mitunter übel zugerichtet und transformiert so vom passiven Autor zum aktiven Romanhelden. Die beiden Cervantes-Figuren werden nun auch weniger verglichen oder parallel gegenübergestellt. Stattdessen durchlebt Mike seinen persönlichen Don Quijote. Immer wieder stellt er sich völlig aussichtslos und naiv gegen die Obrigkeit, gerne auch gewaltsam, aber immer unglücklich und impulsiv, bis er schließlich das FBI an seinen Fersen hat.
War und ist der spanische National-Roman bis heute Gegenstand von etlichen Deutungen – und ursprünglich wohl als Parodie auf Ritterromane gedacht – verpackt Christian Lax in seiner Graphic Novel ganz unzweideutig eine gehörige Portion Gesellschaftskritik: die Allmacht der Banken, die seinem Kumpel Randy die Existenz zerstört. Bücher, die nicht mehr als gesellschafts-konform gelten. Das allgegenwärtige Internet, das unersättlich Daten sammelt und so gläserne Menschen schafft. Die Ohnmacht des Einzelnen zeigt sich in der Reaktion Cervantes‘, als er einen Geldautomaten zerstört, oder die betreffenden Bücher ganz naiv stiehlt, die er eigentlich aussortieren soll. Immer, wenn Cervantes in der Gesellschaft erneut Fuß fassen kann und will (nachdem er seine Prothese bekommt und nachdem er in der Bücherei arbeitet) und für diese so wieder zum „nützlichen Mitglied“ wird, wird er einmal mehr zum Außenseiter, zum Ausgestoßenen, der wie einst in Ridley Scotts Thelma & Louise zum Getriebenen mutiert, verfolgt durch die Obrigkeit und trotzdem sein eigenes Ding durchziehend. Nur für Sancho Pansa will sich nicht so recht ein Pendant finden. Der illegale Mexikaner Tranquillo, den Cervantes als Sancho rekrutiert, passt nicht nur wegen seiner Physiognomie nicht (er ist weder klein noch rundlich), noch ordnet er sich dessen „Mission“ unter.
Christian Lax (eigentlich Lacroix), dessen Comics zuletzt von Schreiber & Leser verlegt wurden (Sarane, Adler ohne Krallen), setzt in seiner Graphic Novel um Cervantes‘ unheilvollen und aussichtlosen Kreuzzug gegen Großkapitalismus und Zensur ganz auf schwarz-grau-weiße Farben, die in ihren Abstufungen stets beeindrucken und gefühlvoll eingesetzt werden. Viele der realistisch gezeichneten Panels sind großzügig – manche ganzseitig – und wirken nie überladen. Immer mal wieder lässt Lax die Natur in seinen Bildern sprechen, sei es bei Cervantes‘ abgelegener Behausung, im nächtlichen Monument Valley oder im wilden Afghanistan, was stets eine atmosphärische Dichte erzeugt. Was ist „Ein Mann namens Cervantes“ nun? Ein Abgesang auf den amerikanischen Traum? Reine Gesellschaftskritik? Oder eine moderne Adaption eines Klassikers? Sicher von jedem etwas. Vor allem aber eine Graphic Novel, die inhaltlich und künstlerisch empfehlenswert ist. (bw)
Ein Mann namens Cervantes
Text & Bilder: Christian Lax
208 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
29,80 Euro
ISBN: 978-3-95798-230-4