Oink (Splitter)

August 17, 2015

Oink (Splitter)

Schlachthaus 628. Als Sklaven gehaltene, intelligente Schweine ziehen Artgenossen heran, die einer mythischen Herrenrasse als Nahrung dienen, selbst immer bewacht von gesichtslosen Schergen hinter Gasmasken. Keine Gedanken, keine Fragen, keine Hoffnung, nur die permanente Doktrin: ihr seid geboren, um zu dienen. Der kleine Oink aber gibt sich damit nicht zufrieden, möchte wissen, was es auf sich hat mit dem legendären Himmel, in dem die besseren Wesen wohnen, denen sie unterworfen sind. Die Aufseher machen ihn mundtot, bis sein Mentor Spigot plötzlich aufsteht – alles Lügen, alles Knechtschaft sei das pseudochristliche Regime, und er ein freies Tier. Seine Revolte ist zwar kurzlebig und endet am Kreuz, aber für Oink ist sie der Wendepunkt: er ermordet seine Peiniger, hinterlässt den Schlachthof als brennendes Fanal und zieht in Richtung Himmel, dessen Schlachter er sein will, mit einem Ziel: er sucht die Wahrheit hinter den Lügen.

Der Himmel allerdings stellt sich als gar nicht paradiesische, sondern heruntergekommene Diktatur heraus, in der Kardinal Bacaar die Knute schwingt. Er war es, der genetische Experimente an Schweinen und Menschen durchgeführt hat, um eine künstliche Sklavenrasse zu erschaffen. Gnadenlos herrscht er mit seinem Terrortrupp, den zutiefst ironisch bezeichneten Engeln der Barmherzigkeit, aber mit Hilfe der blinden Mary und dem stummen Herbert, die die Wahrheit kennen, gelingt es Oink, zuerst ins Geburtshaus, eine gewaltige Retortenklinik, und schließlich sogar ins Allerheiligste vorzudringen und Bacaar als flammende Nemesis entgegenzutreten…

Die pechschwarze Anti-Utopie von John Mueller hat auch 20 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrer beklemmenden Kraft verloren. Mueller verbindet zahlreiche bekannte literarische Negativ-Zukunftsszenarien, am augenfälligsten natürlich George Orwells Animal Farm, wo sich allerdings die Schweine schnell zu den menschlichen Herrschern aufschwingen, und die Welt der Gedankenverbrechen, der permanenten Überwachung durch den großen Bruder und des verelendeten Daseins aus 1984. In einem auf den Kopf gestellten Planet der Affen, einer offenkundig postapokalyptischen Welt, in der à la Mad Max ein universeller Krieg die Zivilisation weggefegt hat (die blinde Mary erzählt von früher gebräuchlichen Zeiteinheiten, das Schlachthaus ist eine umfunktionierte Schule, und Oink entdeckt bei seinem Ausblick auf die Außenwelt Wracks von Autos und Flugzeugen), ist die Religion zur Gewaltherrschaft pervertiert, man predigt Freiheit, in deren Namen Morde begangen werden, die Wächter tragen Gasmasken aus dem ersten Weltkrieg, das Abzeichen der Herrscherklasse erinnert kaum zufällig an das Hakenkreuz, und die Ausbeutung der Unterschicht ist durch die künstliche geschaffene Sklavenrasse der intelligenten Schweine – ein Ergebnis von Experimenten, wie sie auch schon ein Dr. Moreau auf seiner Insel durchführte – auf die Spitze getrieben wie in der Unterwelt, in der die Morlocks für die Eloi schuften müssen.

Wenn auch die letzte psychologische Feinheit fehlt, die Handlung teilweise eher mit grobem Strich gezeichnet ist (warum flieht Oink nicht, als er schon in die Außenwelt gelang ist?), die religiöse Symbolik bisweilen grell-plakativ erscheint (die Engel der Barmherzigkeit hören auf Namen wie Judas und Goliath) und die antiutopischen Vorbilder vehement vermengt werden: Oink überzeugt durch die schiere Wucht, die eiskalte Atmosphäre und die blanke Wut, die jede Seite durchzieht und sich auch im kraftvollen, energischen Zeichenstil – teilweise erinnernd an John Bolton und Simon Bisley – wiederfindet, bei dem Mueller oft auf großformatige, fast gemäldehafte Darstellungen setzt, die ohne Dialog stehen und ihre Wirkung entfalten. Die Zukunft ist nicht schön, die Menschheit wird nicht besser, und einen Ausweg gibt es nicht. Auch nicht für einen Freigeist wie Oink. Ein Schlag ins Gesicht, von dem man sich erst einmal erholen muss, weil die Zeitbezüge ebenso aktuell sind wie vor 20 Jahren. Für die Neuauflage, im Original erschienen bei Dark Horse, hat Mueller sein Werk nochmals durchgesehen, überarbeitet und um einige Seiten erweitert. Starker, aber gewaltiger Tobak. (hb)

Oink
Text & Bilder: John Mueller
120 Seiten in Farbe, Hardcover
Splitter Verlag
19,80 Euro

ISBN: 978-3-95839-156-7

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